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Der Fliegende Holländer

Der Fliegende Holländer

Titel: Der Fliegende Holländer
Autoren: Tom Holt
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oberflächlichen Ebenen sich ihr Verstand allmählich bewegte.
    An dieser Stelle erinnerte sie sich daran, irgendwann am heutigen Abend über ihrem Kopf eine Stimme gehört zu haben, die sinngemäß ungefähr gesagt hatte, daß das mit den Engeln und den Liebesbeteuerungen alles purer Schwachsinn und der wahre Grund der bestialische Gestank gewesen sei. Gelinde gesagt war es schon absonderlich, warum ihr Verstand ausgerechnet diese Gesprächsfetzen aus dem ganzen Müll aussortiert hatte, der in ihrem Gehirn gespeichert war; sie verglich ihren Verstand mit dem kleinen Sieb in einem Abflußloch, in dem sich Blumenkohl- und Nudelreste verfangen, wenn die Abwaschschüssel ausgeschüttet wird. Während sie noch immer über diesen Vergleich nachdachte, schlief sie schließlich ein. Die nächste Station, Warwick Avenue, nahm sie nicht wahr, und sie wachte gerade noch rechtzeitig auf, um in Maida Vale schlaftrunken aus dem Zug zu steigen und sich auf den langen Heimweg zu machen.
     
    Es gibt da eine Kneipe in Southampton, aus der man niemals rausgeschmissen wird, egal, was man tut oder sagt, und dort lief gerade der Neuankömmling einem anderen Gast, den er sehr gut kannte, fast direkt in die Arme.
    Zunächst versuchten beide, sich aus dem Weg zu gehen, zumal sie erst in drei Tagen wieder aufs Schiff mußten, wo sie abermals sieben Jahre auf engstem Raum miteinander verbringen würden. Aber dieses Vorhaben scheiterte, als der Neuankömmling feststellte, daß er kein Geld mehr hatte.
    »Antonius, kannst du mir bis zum Zahltag einen Fünfer leihen?« bat er seinen Freund auf holländisch.
    Antonius griff in die Tasche seines Hemds, holte einen Fünf-Pfund-Schein hervor und reichte ihn seinem Gefährten. Der Name seines Gefährten – nur der Ordnung halber – lautete Johannes, und er und Antonius wurden vor über vierhundertdreißig Jahren im selben Dorf südlich von Antwerpen geboren. Mit Ausnahme von Landurlauben wie diesem waren sie bis heute in vierhundertsiebzehn Jahren nur ein einziges Mal länger als genau acht Stunden voneinander getrennt gewesen, als nämlich Johannes’ Mutter befürchtete, ihr Sohn habe die Pest, und ihn für einige Tage in eine Scheune sperrte.
    Keiner von beiden hätte sich das jemals freiwillig so ausgesucht, da sie sich eigentlich bis zum heutigen Zeitpunkt nie recht ausstehen konnten. Johannes war ein lärmender kleiner Mann mit Vollbart und stark behaarten Armen und Beinen, der bis zum Umfallen soff. Antonius stand am liebsten still in der Ecke, starrte ins Leere und dachte an überhaupt nichts. Beide fanden sich gegenseitig ausgesprochen unsympathisch, und der einzige Punkt, in dem sie sich einig waren und über den sie sich länger als drei Minuten unterhalten konnten, ohne sich zu streiten, war ihre gemeinsame Abneigung gegen alle anderen an Bord des Schiffs, insbesondere gegen Kapitän Vanderdecker.
    »Erstens einmal war schließlich er derjenige, dem wir diesen ganzen Schlamassel zu verdanken haben«, sagte Johannes einige Minuten später, als sie direkt unter der Dartscheibe in einer Ecke der Kneipe saßen und Bier tranken.
    »Das ist wahr. Ist alles seine Schuld«, stimmte Antonius ihm zu.
    Ein Dartpfeil prallte aus der Fünfzehn mit dreifachem Wert ab und blieb erst in Antonius’ Glatze stecken. Er zog ihn wieder heraus und gab ihn seinem Besitzer zurück.
    »Und was, zum Teufel, hat er damit bloß bezweckt, als er dieses Zeugs getrunken hat?« zog Johannes weiter vom Stapel, und während er sprach, pickte er ein paar Kreidereste aus seinem Bierglas. »Er hätte doch wissen müssen, das alles böse enden würde.«
    »Er hat sich eben nichts dabei gedacht«, sinnierte Antonius. »Er nimmt einfach keine Rücksicht auf andere.«
    »Und dann dieses Zeugs ins Bierfaß zu kippen …«, beklagte sich Johannes verbittert.
    »Typisch«, stimmte ihm Antonius zu. Er mochte dieses Wort sehr und sparte es sich für ganz besondere Gelegenheiten auf, weil er es durch zu häufigen Gebrauch nicht abnutzen wollte.
    »Mit der Zeit kann man sich an dieses Bier hier gewöhnen«, stellte Johannes fest, wobei er unbeabsichtigt seinen Kapitän zitierte.
    »Doch, es schmeckt«, bestätigte Antonius. »Willst du noch eins?«
    »Kann nicht schaden.«
    Also bestellten sie ein zweites Bier und ein drittes und danach zwei, drei weitere, und dann gingen sie nach draußen, um etwas Luft zu schnappen. Als sie wieder einigermaßen auf dem Damm waren, erinnerte sich Antonius an das Mädchen, das direkt um die Ecke
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