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Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann
Autoren: Jo Nesbø
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Harry nicht bewußtlos war, war also, daß der Mann im Dunkeln links neben ihm gestanden hatte. Weil Harry sich in der Türöffnung befand, war es ihm unmöglich gewesen, seine Schläfe zu treffen, etwas, das laut Andrew sicher ausgereicht hätte. Auch konnte er ihmkeinen effektiven Haken oder Uppercut verpassen, weil Harry ja seine Hände mit der Pistole vor sich gehalten hatte. Und auch keine rechte Gerade, denn dann hätte er sich unmittelbar vor die Pistole stellen müssen. Die einzige Möglichkeit bestand in einer linken Geraden, ein Schlag, den Andrew als »Fräuleinchenschlag« bezeichnet hatte und der allenfalls dazu geeignet sei, den Gegner zu irritieren oder ihn weichzuklopfen, der bei einem richtigen Faustkampf auf der Straße aber nichts zu suchen habe. Es ist möglich, daß Andrew recht hatte, aber dieser Schlag hatte Harry rücklings auf die Wendeltreppe taumeln lassen, wo er mit dem Kreuz auf die Kante des Geländers aufgeschlagen und beinahe nach unten gestürzt war.
    Als er die Augen öffnete, stand er noch immer aufrecht. Eine Tür am anderen Ende des Raumes stand offen, und er war sich ziemlich sicher, daß Toowoomba durch diese entkommen war. Doch er hörte ein Kling-Klong-Geräusch und ging davon aus, daß es von der Pistole stammte, die über die Metalltreppe nach unten polterte. Er entschied sich zugunsten der Pistole. Mit einem selbstmörderischen Sprung über die Treppe nach unten schlug sich Harry die Unterarme und die Knie auf, es gelang ihm aber, die Pistole noch rechtzeitig zu packen, bevor sie über die Kante rutschte und in einem zwanzig Meter tiefen Schacht verschwinden konnte. Er hockte sich auf die Knie, hustete und konstatierte, daß er schon den zweiten Zahn verloren hatte, seit er in dieses verdammte Land gekommen war.
    Er stand auf und wäre um ein Haar sofort wieder ohnmächtig geworden.
    »Harry!« schrie jemand in sein Ohr.
    Er hörte auch, daß ein Stück unter ihm die Tür aufgerissen wurde und Schritte, die die Treppe erzittern ließen. Harry visierte die Tür des Raumes vor ihm an, ließ das Geländer los, schwankte vor, traf mit viel Glück und taumelte weiter. Er machte ein paar wacklige Schritte, um nicht kopfüber nach vorne zu fallen, visierte die nächste Tür am anderen Ende an,traf erneut und stolperte mit dem Gefühl, sich die Schulter ausgekugelt zu haben, in die Dämmerung hinaus.
    »Toowoomba!« schrie er in den Wind. Er schaute sich um. Direkt vor ihm lag die Stadt, hinter ihm die Pyrmont Bridge. Er stand auf dem Dach des Aquariums und mußte sich in den Windböen am oberen Geländer einer Feuertreppe festhalten. Das Meerwasser war vom Sturm weiß aufgepeitscht, und er schmeckte das Salz in der Luft. Direkt unter sich sah er eine dunkle Gestalt, die die Feuertreppe hinunterkletterte. Sie hielt einen Augenblick inne und sah sich um. Zu ihrer Linken stand ein Polizeiwagen mit laufendem Blaulicht, vor ihr, durch eine Absperrung gesichert, die zwei Tanks, die über dem Aquarium emporragten.
    »Toowoomba!« brüllte Harry und versuchte die Pistole anzuheben. Seine Schulter aber verweigerte ihm den Dienst, und Harry schrie vor Schmerzen und Wut. Die Gestalt war am Ende der Feuerleiter angelangt, sie lief zur Absperrung und begann, über sie hinüberzuklettern. Harry begriff in diesem Moment, was sich dieser Mensch vorgenommen haben mußte – er wollte das Becken überqueren und dann das kurze Stück zum Kai hinüberschwimmen. Von dort würde es nur ein paar Sekunden dauern, bis er im Gewimmel der Großstadt verschwand. Harry stürzte sich im wahrsten Sinne des Wortes die Feuerleiter hinunter. Er stürmte zu der Absperrung hinüber, als wolle er sie geradewegs niederreißen, quälte sich mit einem Arm hinüber und schlug mit einem Klatschen auf dem Zement auf der anderen Seite auf.
    »Harry, melde dich!«
    Er riß sich den Stöpsel aus dem Ohr und hastete zu dem großen Tank hinüber. Die Tür stand offen. Er lief hinein und ließ sich auf die Knie fallen. Unter dem geschwungenen Dach des Tanks vor ihm lag, im Licht unzähliger Lampen, die an Stahlseilen darüber gespannt waren, ein Stück eingezäunte Sydney Bay. In der Mitte des Tanks verlief eine schmale Pontonbrücke, über die Toowoomba rannte. Er hatte schon eingutes Stück des Weges zurückgelegt. Toowoomba trug einen schwarzen Rollkragenpullover und eine schwarze Hose, und er lief so elegant, wie das auf einer schmalen, instabilen Pontonbrücke möglich war.
    »Toowoomba!« rief Harry zum dritten Mal. »Ich
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