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Der Fledermausmann

Der Fledermausmann

Titel: Der Fledermausmann
Autoren: Jo Nesbø
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Ich habe Jandy das erste Mal gesehen, als ich sechs Jahre alt war. Von da an wußte ich, was ich einmal werden wollte. Und das bin ich jetzt.«
    Otto warf ihm durch die angetrocknete Schminke ein trauriges Clownslächeln zu.
    »Woher kennt ihr beiden euch?« fragte Harry. Otto und Andrew warfen sich schnelle Blicke zu. Harry sah das Zucken im Mundwinkel und begriff, daß er ein schwieriges Terrain betreten hatte.
    »Ich meine nur . . . ein Polizist und ein Clown . . . das ist ja nicht gerade . . .«
    »Das ist eine lange Geschichte«, sagte Andrew. »Man kann wohl sagen, daß wir zusammen aufwuchsen. Otto hätte wohl seine Mutter verkauft für ein Stück von meinem Arsch, aber ich habe schon in ganz jungen Jahren einen merkwürdigenHang zu den Mädchen und diesen ekligen Hetero-Spielchen verspürt. Das muß was mit Vererbung und Milieu zu tun haben, oder was glaubst du, Otto?«
    Andrew kicherte vor sich hin, wobei er der Ohrfeige auswich, die Otto ihm verpassen wollte.
    »Du hast doch keinen Stil, kein Geld, und dein Arsch wird viel zu hoch gelobt«, beklagte sich Otto. Harry schaute zu den anderen in der Truppe hinüber, aber das Auftreten von Andrew und Otto schien sie völlig kalt zu lassen. Eine der kräftigen Trapezdamen zwinkerte ihm aufmunternd zu.
    »Harry und ich werden heute abend ins Albury gehen, kommst du mit?«
    »Du weißt doch ganz genau, daß ich da nicht mehr hingehe, Tuka!« sagte Otto wütend.
    »Du solltest langsam darüber hinweg sein, Otto, das Leben geht weiter.«
    »Das Leben von allen anderen, meinst du. Meines hört hier auf, genau hier. Wenn die Liebe stirbt, sterbe ich.« Otto legte seine Hand entsprechend theatralisch auf seine Stirn.
    »Wie du willst.«
    »Außerdem muß ich erst nach Hause und Waldorf füttern. Geht Ihr nur, vielleicht komme ich etwas später.«
    »See you soon«, sagte Harry und legte seine Lippen gelehrig auf Ottos ausgestreckte Hand.
    »Looking forward to it, Harry Handsome.«
     
    Die Sonne war untergegangen, als sie zur Oxford Street in Paddington hinauffuhren und das Auto am Rand eines kleinen Parks abstellten. »Green Park« stand auf einem Schild, doch das Gras war bräunlich verbrannt, und das einzig Grüne war ein kleiner Pavillon inmitten des Parks. Ein Mann, ein Aborigine, lag unter einem Baum im Gras. Seine Kleider waren zerrissen, und er war so dreckig, daß er eher grau als schwarz wirkte. Als er Andrew sah, hob er die Hand wie zum Gruß, aber Andrew ignorierte ihn.
    Im Albury war es so voll, daß sie sich durch die Glastüren hineinschieben mußten. Dort blieb Harry ein paar Sekunden stehen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Kundschaft bestand aus einer farbenfrohen Mischung der unterschiedlichsten Typen, junge Männer waren dabei klar in der Überzahl: Langhaarige in verwaschenen Jeans, glattgescheitelte Yuppies in Anzügen, Künstler mit Spitzbärtchen und Vernissage-Bläschen in den Gläsern, schicke, surf-blonde Jüngelchen mit gewinnendem Lächeln und Motorrad-Freaks – oder the bikies, wie Andrew sie nannte – in schwarzen Lederkombis. Mitten im Lokal, hinter der eigentlichen Bar, war eine Show in vollem Gang. Langbeinige, halbnackte Frauen in purpurroten, tiefausgeschnittenen Tops hüpften herum und bewegten sich mit breiten, rotbemalten Lippen zu Gloria Gaynors »I will survive«. Die Mädchen wechselten sich ab, so daß diejenigen, die an der Vorführung nicht teilnahmen, die Gäste bedienten und ganz offensichtlich mit ihnen flirteten.
    Harry kämpfte sich zum Tresen vor und bestellte.
    »Coming up right away, Blondie«, sagte die Bedienung im Römerhelm mit tiefer Baßstimme und lächelte schelmisch.
    »Sag mal, sind wir die einzigen Normalen in dieser Stadt?« fragte Harry, als er mit einem Bier und einem Glas Saft zurückkam.
    »Nach San Francisco gibt es nirgendwo auf der Welt so viele Schwule wie in Sydney«, erklärte Andrew. »Die australische Landbevölkerung ist vor allem für ihre Toleranz gegenüber sexuell Andersdenkenden bekannt. Und wenn sich das Gerücht, daß es hier die größte Auswahl gibt, erst einmal richtig verbreitet hat, ist es ja kein Wunder, daß alle Homo-Bauernsöhne Australiens nach Sydney wollen. Und übrigens nicht nur aus Australien, jeden Tag strömen neue Schwule aus der ganzen Welt in die Stadt.«
    Sie gingen zu einer anderen Bar am hinteren Ende des Lokals, wo Andrew einem Mädchen hinter dem Tresen etwas zurief.Sie hatte ihnen den Rücken zugedreht und die rotesten Haare, die Harry jemals
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