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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes
Autoren: Andreas Franz
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Inneres darum gewinselt, davonzukommen. Sie wollen noch nicht sterben, Sie wollen nicht als Held von Waldstein in die Annalen der Geschichte eingehen, Sie wollen noch etwas von Ihrem Leben haben! Sie sind wie jeder andere, und Sie haben absolut kein Recht, sich zum Richter über irgend jemanden hier aufzuspielen, solange Sie
Ihren Kampf
nicht zu Ende gekämpft haben . . . Hören Sie auf, sich was vorzumachen, Sie haben genauso kapituliert wie wir alle hier. Außerdem, Brackmann, wie ich Ihnen bereits gestern sagte, hier gelten einfach andere Gesetze. München, Frankfurt, Paris, London sind Lichtjahre entfernt! In Waldstein hat sich in den letzten hundertfünfzig Jahren eine verschworene Gemeinschaft gebildet. Die Pickards, die Oberts, die Merkels, die Richters und die Phillips, die Vandenbergs nicht zu vergessen– ich könnte Ihnen fast die ganze Stadt aufzählen –, sie alle leben seit drei, vier, fünf oder mehr Generationen hier!
Hier
sind ihre Wurzeln, nicht hundert oder zweihundert Kilometer weg! Brackmann, Sie müssen begreifen, daß dies hier wirklich eine andere Welt ist, mit anderen Grundsätzen und einer anderen Moral! Erst wenn Sie das begriffen haben, werden Sie die Menschen verstehen. Pickard zum Beispiel, vergleichen Sie ihn mit einem Baum, der seit zweihundert Jahren seine Nahrung aus der gleichen Erde zieht. Wenn Sie ihn verpflanzen, wird er zugrunde gehen. Nehmen Sie Pickard die Existenz, er wird zugrunde gehen. Wissen Sie, Pickard ist vor sechs oder sieben Jahren bis auf das Wohnhaus fast alles abgebrannt. Er war unterversichert und die Versicherung hat nur einen Bruchteil des tatsächlich entstandenen Schadens übernommen. Er hätte unter normalen Umständen aufgeben und weggehen müssen. Und wer hat ihm aus der Misere geholfen? Genau, die Vandenbergs! Sie haben ihm ein äußerst großzügig bemessenes Darlehen gewährt. Die Familie Pickard, zumindest seine Linie, lebt fast so lange hier wie die Vandenbergs. Da hilft man sich eben gegenseitig. Selbst ein gebildeter Mann wie Obert würde nie in seinem Leben Waldstein den Rükken kehren. Bei den jungen Leuten von heute ist das was anderes, sie scheren sich einen Dreck um Tradition und Konventionen, sie ziehen einfach weg, wenn es ihnen hier nicht mehr paßt, die große Welt lockt sie, und sie verschwinden. Warten Sie zwanzig oder dreißig Jahre, und Waldstein wird nur noch eine Geisterstadt sein. Hier und da ein paar Alte, und wenn die gestorben sind . . .« Er winkte ab. »Brackmann, ich bin zu alt, um mich aufzulehnen. Ich verstehe Ihre Haltung, Sie kommen sich jetzt wie ein übler Vaterlandsverräter vor. So ähnlich ging es mir damals auch. Ich habe noch immer ein schlechtes Gewissen, auch wenn Sie mir das vielleicht nicht abnehmen, doch ich versuche esmit den Gegebenheiten zu rechtfertigen. Und das sollten Sie auch tun. Sie machen sich damit das Leben leichter.«
    »Sie haben ein schlechtes Gewissen? Und um es nicht zu schlecht werden zu lassen, rechtfertigen Sie es einfach mit den Gegebenheiten! Ich glaube, ich weiß, warum ich nie gerne die Kirche besucht habe – wenn überhaupt an einem Platz geheuchelt und gelogen wird, daß sich die Balken biegen, dann hier! Und ihr Priester seid die schlimmsten Heuchler!«
    »Mag sein«, erwiderte Engler mit bitterem Lächeln. »Aber denken Sie daran, auch Priester sind nur Menschen . . .«
    »Es gibt viele Menschen, die da anderer Ansicht sind . . .«
    »Brackmann, es bringt absolut nichts, wenn wir uns hier angiften! Wir sitzen im selben Boot. Ich bin gekauft worden und Sie sind es jetzt auch. Wieviel haben sie Ihnen geboten?«
    »Ich kann davon leben.«
    »Sie brauchen es mir nicht zu sagen. Was werden Sie jetzt tun?«
    »Ich habe eine Kopie des Briefes. Ich weiß noch nicht, jetzt mit Ihrer Aussage . . .«
    »Seien Sie vernünftig, Brackmann. Es bringt nichts.«
    »Nein, wahrscheinlich nicht«, sagte er und erhob sich, strich die Hose gerade. »Ich werde jetzt gehen. Was machen Ihre Vorbereitungen? Haben Sie die Rede schon geschrieben?«
    »Sie ist fast fertig.«
    »Passen Sie nur gut auf, daß die Menschen viel von der Güte Gottes erfahren! Und daß sie sich allezeit an die Kirche wenden können. Es werden viele Menschen dasein, Engler. Sehr viele Fremde sind in der Stadt. Es handelt sich schließlich um eine Angelegenheit von nationalem, wenn nicht sogar internationalem Interesse. Ich nehme an, die Vandenbergs werden in vorderster Reihe sitzen. Und siewerden sich als Wohltäter des Ortes feiern
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