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Der falsche Mann

Der falsche Mann

Titel: Der falsche Mann
Autoren: David Ellis
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… Kolarich?«
    Ich drehte mich um. Hinter mir stand eine grauhaarige Frau; mit ihren gefalteten Händen wirkte sie, als würde sie beten. Sie war mittleren Alters und hatte ein zerfurchtes, sorgenvolles Gesicht. Was keineswegs überraschend war. In Gerichtsgebäuden sieht man nur selten wirklich glückliche Gesichter.
    » Mein Name ist Deidre Maley«, sagte sie.
    » Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte ich. Meine Mutter hatte bei der Erziehung immer Wert auf Höflichkeit gelegt. Und das mit Erfolg – wenigstens bei meinem Bruder Pete. Aber auch ich habe ab und an meine guten Momente.
    » Das war … beeindruckend«, sagte sie. » Darf ich Sie etwas fragen: Woher wussten Sie, dass die Zeugin nicht den Pontiac gefahren hat?«
    Der Gerichtssaal hatte sich geleert. Die Jury war schon längst verschwunden, ebenso die Ankläger.
    » Ich wusste es nicht«, sagte ich. » Ich hatte nur so ein Gefühl, dass sie log.«
    Sie musterte mich. Wahrscheinlich konnte sie sich nicht entscheiden, ob sie beeindruckt oder angewidert sein sollte.
    » Mein Neffe braucht Ihre Hilfe«, sagte sie.
    Ich verbuchte sie unter beeindruckt.
    » Er ist wegen Mordes angeklagt, in Tateinheit mit Raub, wie sie es nennen. Er hat einen Pflichtverteidiger, aber ich möchte gerne jemand anders.«
    » Wer ist sein Pflichtverteidiger?«
    » Bryan Childress.«
    » Verstehe. Der Mann ist gut.« Ich kannte Chilly vom Jurastudium. Seit seinem Abschluss arbeitete er für das Büro der Pflichtverteidiger. Aber er war auf dem Absprung. Ich fragte mich, ob sie das wusste.
    » Ja, er ist gut, aber er wird bald aufhören«, sagte sie.
    Frage beantwortet.
    » Und ich möchte gerne, dass Sie meinen Neffen vertreten, Mr. Kolarich.«
    Pflichtverteidiger haben einen schlechten Ruf. Dabei sind die meistens ziemlich auf Draht. Allerdings sind sie chronisch überarbeitet, weswegen ihre Klienten manchmal das Gefühl haben, als würde ihnen nicht die gebührende Spezialbehandlung zuteil.
    » Ich habe nicht viel Geld«, fuhr sie fort. » Aber wenn Sie etwas Geduld haben, finde ich einen Weg, Sie zu bezahlen, das verspreche ich Ihnen.«
    Sie war schätzungsweise um die sechzig, und ihre Chancen auf ein beträchtlich gesteigertes Einkommen standen wohl nicht gerade zum Besten.
    » Tom ist ein guter Junge. Aber er ist krank. Er kam als anderer Mensch aus dem Irakkrieg zurück. Ich wollte mich um ihn kümmern, hab es aber einfach nicht geschafft. Mein Ehemann leidet unter Multipler Sklerose, daher konnte ich nicht so für Tom sorgen, wie ich es gerne getan hätte. Und jetzt habe ich das Gefühl, es ist alles meine Schuld.«
    Und ich hatte das Gefühl, dass Tante Deidre etwas arg auf die Tränendrüse drückte, jedenfalls für meinen Geschmack. Fehlte nur noch, dass sie schluchzend zusammenbrach und ich sie auffangen musste.
    » Seine Eltern sind tot«, fügte sie hinzu. » Ich bin seine einzige Angehörige.«
    Hatte er nicht zufällig auch ein paar Waisenkinder vorm Ertrinken gerettet? Aber sie hatte Glück, denn sie erwischte mich in guter Stimmung.
    » Ich werde mich mit ihm treffen«, sagte ich. » Sobald das hier abgeschlossen ist. Aber ich kann Ihnen nichts versprechen.«
    3
    Fragen Sie mich nicht, warum ich mich darauf einließ.
    Vermutlich weil ich gelangweilt war. Und dieser Fall klang irgendwie interessant.
    Das Madelyn R. Boyd Center lag zwei Blocks südlich vom Criminal Courts Building. Ich beendete eine Anhörung vor Richter Basham in einem Fall von Einbruchdiebstahl und traf dann um Punkt elf Bryan Childress vor dem Boyd Ce nt er. Wir waren beide überrascht über meine Pünktlichkeit.
    Childress trug einen grauen Anzug und eine schwarze Krawatte. Billiges Zeug von der Stange. Chilly hatte sich nie sonderlich für Klamotten interessiert. Während des Studiums hatte er sich eigentlich für gar nichts sonderlich interessiert, außer in welcher Bar wir am Abend aufschlugen.
    » Tja, Ronaldo Dayton«, sagte er zu mir. » Gratuliere. Die Jury hat angeblich nur vier Stunden für ihre Beratung gebraucht?«
    Drei, um ehrlich zu sein. Und Rondo feierte vermutlich noch, während wir uns hier unterhielten.
    Chilly stieß einen leisen Pfiff aus. Die Staatsanwaltschaft hatte unbedingt eine Verurteilung gewollt. Nicht weil es sie sonderlich berührte, wenn Gangmitglieder sich gegenseitig massakrierten, sondern weil Ronaldo Dayton Anführer der Black Posse war und sie ihn gerne hinter Gittern gesehen hätten.
    Wir traten durch die Eingangstür an die Empfangstheke. » Hey,
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