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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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agiert haben (Afghanistan und Kaschmir), heraustreten und verstärkt Kontakte zur pakistanischen Diaspora in Großbritannien knüpfen, deren Radikalisierung sich vor Ort vollzieht und nicht unter dem Einfluss Pakistans. Diese Entwicklung folgt einer Logik, der zufolge Pakistan ein ideologischer Staat sein möchte (das heißt der Staat der Muslime) und nicht ein Nationalstaat mit einem bestimmten Staatsgebiet. Rachid Rauf, 25 Jahre alt, britischer Staatsbürger und im August 2006 in den versuchten Anschlag auf Londons Flughafen Heathrow verwickelt, ist über seine Ehefrau mit dem Anführer der islamistischen Gruppe Jaish-e-Mohammed (»Armee Mohammeds«) verbunden. Letztere ist eine Gruppe, die lange mit Lashkar-i Taiba in Zusammenhang gebracht wurde, dem bewaffneten Arm der in Pakistan ansässigen fundamentalistischen
Bewegung Dawat ul-Irshad. Es gibt Vorläufer: Omar Sheykh, der Mörder von Richard Pearl, kam aus Großbritannien, und Willie Brigitte, ein französischer Konvertit, wurde 2003 von Lashkar-i Taiba nach Australien geschickt.
    Einige Terroristen haben in ihrer born-again -Phase Organisationen angehört, die mit Terrorismus nichts zu tun hatten, wie zum Beispiel den Tablighi, einer pietistischen Bewegung, und mehr noch der Hizb ut-Tahrir, die ihren Sitz unter anderem in London hat, sowie einer obskuren Gruppe in ihrem Umfeld, der Bewegung der Mouhajiroun.
    Al Qaida entwickelt ihre Strategie demnach auf zwei Ebenen. An erster Stelle stehen natürlich die spektakulären Anschläge gegen westliche Einrichtungen. Aber darüber hinaus nutzt Al Qaida auch lokale Konflikte für die Ziele des weltweiten Dschihad. So war es in Bosnien und in Tschetschenien, und ähnlich scheint es im Irak abzulaufen. In allen drei Fällen gelingt es internationalistischen islamistischen Gruppen jedoch nicht, den lokalen Konflikt ganz in den Hintergrund zu drängen. Sie nehmen wie in Bosnien und Tschetschenien lediglich die Rolle einer militärischen Avantgarde ein, und zwar in einem Kontext, in dem sich die Aktionen zumindest für eine gewisse Zeit auf ein nationales Territorium beschränken. Die »Internationalisten«, wer sie auch jeweils sein mögen, sind so etwas wie eine »Fremdenlegion«, derer man sich entledigt, wenn der Krieg vorüber ist (Bosnien). Im Irak ist es unwahrscheinlich,
dass die Internationalisten ihre Strategie erfolgreich durchsetzen werden, allerdings können sie bei der Auswahl der (schiitischen oder christlichen) Ziele mitwirken und auf diese Weise die religiöse Dimension des Konflikts verschärfen.
    Heute ist klar, dass alle nationalen Befreiungsbewegungen, unabhängig von ihren Methoden und unabhängig vom Stellenwert des Islam (man denke an die Hamas in Palästina oder an die Tschetschenen), den Kampf in einem nationalen Rahmen weiterführen - auf ihrem Staatsgebiet oder auf dem Staatsgebiet derjenigen, die sie als Besatzungsmacht wahrnehmen. Kein Mitglied von Al Qaida ist auf israelisch-palästinensischem Gebiet aktiv gewesen, und kein heutiger Palästinenser, das heißt aus Gaza oder aus den besetzten Gebieten, hat an Aktionen von Al Qaida teilgenommen. Aber es ist durchaus vorstellbar, dass angesichts der internationalen Repression und Isolierung bestimmte Gruppen beschließen, den Konflikt zu internationalisieren, so wie es die Palästinenser in den siebziger Jahren getan haben, mit dem Unterschied, dass sie sich mit den globalen Kräften aus dem Umfeld von Al Qaida verbünden. Bleiben wir bei diesem Beispiel, so besteht durchaus die Gefahr einer Entterritorialisierung bestimmter Palästinenser, die nicht mehr für einen palästinensischen Staat kämpfen werden, der in immer weitere Ferne rückt, und sich stattdessen Al Qaida zuwenden. In den Palästinenserlagern im Libanon, in Nahr al-Barid und Ayn al-Helwe, ist dieser Fall bereits eingetreten, und ähnlich wird es wohl auch in Gaza kommen.

    Sollte das Zentrum von Al Qaida eines Tages doch ausgeschaltet werden, ist damit zu rechnen, dass eine Reihe ehemaliger »Afghanen« oder potenzieller Mitglieder von Al Qaida die erlernten Techniken, die geknüpften Netze und die Marke Al Qaida gewissermaßen auf dem Markt anbieten werden. Sie könnten mit Mafia-Netzen kooperieren oder sich in solche verwandeln. Staatlichen Diensten könnten sie sich als Söldner anbieten, wie es in der Vergangenheit Abu Nidal und Carlos vorgemacht haben. Gegenwärtig wagt kein Staat, Schritte in diese Richtung zu unternehmen, aus Angst vor einer Reaktion der Amerikaner. Aber
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