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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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das könnte sich ändern, falls die Vereinigten Staaten den Iran angreifen oder die Führungslosigkeit von Al-Qaida-Netzen sowie die Unklarheit hinsichtlich der Ziele und Mittel im »Krieg gegen den Terrorismus« zunehmen, so dass schließlich eine Grauzone entsteht, in der man die einzelnen Akteure nicht mehr unterscheiden kann. Diese Situation könnte sich dort herauskristallisieren, wo heute internationalistische Militante agieren, was Verbindungen zu Drogenhändlern und die mögliche Komplizenschaft seitens Angehöriger des Staatsapparats voraussetzt, wie bereits in den Stammesregionen in Pakistan zu beobachten ist.
     
    Wenn wir nun nach den Konflikten der Zukunft fragen, hat Al Qaida dabei eine strategische Schlüsselrolle inne? Das ist zu bezweifeln. Al Qaida kann zwar einen lokalen Konflikt ausnutzen, ist aber nicht in der Lage, den Dschihad in eine ganz neue Richtung zu lenken.

    Bis heute haben die Kämpfer lediglich die für einen bestimmten Konflikt typische Dynamik verstärkt, wie etwa in Tschetschenien. In Bosnien haben sie nur als Hilfstruppen gedient. Im Irak hat der lokale Arm, den Zarkawi bis zu seinem Tod 2006 führte, eine wichtige Rolle bei der Radikalisierung der sunnitischen Bewegung gespielt. Aber diese Tendenz machte sich vor allem gegenüber den Schiiten bemerkbar, was einer Grundströmung vor Ort entspricht, die jedoch nicht zu den Vorgaben von Al Qaida passt. Denn Al Qaida möchte, dass sich bewaffnete Aktionen in erster Linie gegen die Amerikaner richten. Auch die Hamas wurde von Al Qaida verurteilt, weil jene Organisation den parlamentarischen Weg gewählt hat, aber letztendlich hat Al Qaida keinerlei Einfluss auf die Palästinenser. Es mag dem Terrornetzwerk gelingen, Konflikte zuzuspitzen, aber es kann Konflikte nicht steuern; immer wird sich die jeweilige lokale, nationale, tribale oder konfessionelle Logik durchsetzen.
    Angesichts der sich abzeichnenden Eskalation des Konflikts zwischen Schiiten und Sunniten muss sich Al Qaida entscheiden. Die Führung würde offensichtlich lieber ein Bündnis mit dem schiitischen Iran gegen die Amerikaner eingehen, als sich, wie Zarkawi es im Irak getan hat, einer sunnitischen Achse anzuschließen, die vor allem antischiitisch und weniger antiamerikanisch und antizionistisch agiert. In dem Fall stünde Al Qaida konträr zu einem großen Teil ihrer potentiellen Anhänger, bei denen der Hass auf die Schiiten sehr ausgeprägt ist. Die Organisation wäre abhängig vom Gang der
Ereignisse, es sei denn, es gelänge ihr, weitere spektakuläre Aktionen zu starten, um ihr Image als Avantgarde wiederherzustellen. In jedem Fall ist der Effekt der, dass jeglicher Aktivismus sich immer mehr von realen politischen Entwicklungen ablöst.
    Al Qaida fügt sich reibungslos in die »asymmetrische Strategie« ein, von der wir weiter oben gesprochen haben. Al Qaida will kein neues politisch-territoriales Gebilde schaffen, das in der Lage wäre, den Vereinigten Staaten Widerstand zu leisten. Denn eine solche Einheit wäre für die Amerikaner kein Problem; sie würden sie mit einer Handbewegung vom Tisch fegen, wie 2001 den Irak. Ihr Ziel ist vielmehr, die Zahl der »Grauzonen« zu vermehren, in denen es keinen Staat, keine Verwaltung und keine festen Ziele gibt. Al Qaida ist eine nomadische Organisation, sie sucht sich provisorischen Unterschlupf und kann jederzeit wieder aufbrechen und verschwinden. Das ist nicht die Rückkehr zu den alten Guerillatechniken, auf die sich General Giap in Indochina beziehungweise Vietnam so meisterlich verstand. Denn Giap, Mao und ihresgleichen wollten zu einem bestimmten Zeitpunkt die Kontrolle über ein Gebiet erlangen, um von dort aus weitere Eroberungen zu machen. Kurzum, sie strebten den Status eines Feindes an: Sie wollten ein Staat mit einem Staatsgebiet sein, souverän und mit einer eigenen Armee.
    Das Schlachtfeld von Al Qaida sieht anders aus als das einer konventionellen Armee, und hier stoßen wir auf einen fundamentalen Irrtum der Amerikaner im Jahr 2001: Sie reagierten mit einer territorialen Eroberung.
Im Gegensatz zu den nationalen Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts hat Al Qaida auch keine politische Antwort parat. Gewiss, aus der Utopie ist in manchen Fällen ein Alptraum geworden, aber die Guerilleros der Vergangenheit verfolgten ein Gesellschaftsprojekt, was bei den Dschihadisten vollkommen fehlt. Al Qaida kennt kein verheißungsvolles Morgen, und in diesem Punkt gibt es Querverbindungen zu den
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