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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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anschließend auf eine transnationale, »entterritorialisierte« Ebene übertragen, etwa durch Reisen, Wohnsitz in einem anderen Land, mehrere Staatsangehörigkeiten und so weiter.
    Kameradschaftlichkeit spielt eine sehr wichtige Rolle und wird oft noch durch eheliche Bindungen verstärkt, die gerade nicht »traditionell« strukturiert sind: Man heiratet die Schwester eines Mitstreiters und nicht die Frau, die die Eltern ausgesucht haben, und führt dann häufig eine durch und durch moderne Ehe, wie es die Frau des Mörders von Massud geschildert hat. 3 So heiratete aus der Gruppe der Attentäter von Madrid Serhane Fakhet im Jahr 2002 die Schwester seines Freundes Mustafa Maymouni. In Frankreich heiratete Jamel Beghal die Halbschwester von Johan Bonte.
     
    Doch Al Qaida beschränkt sich nicht auf persönliche Netzwerke. Wir finden daneben noch eine Vielzahl anderer Formen des Zusammenhalts und der Kooperation:
Franchise-Unternehmen, Filialen, Netzwerke und Verbindungen.
    • Franchise-Unternehmen: Es genügt, dass lokale Aktionsgruppen das Logo und das Konzept von Al Qaida übernehmen, ohne direkt mit dem Zentrum verbunden zu sein, und schon kann sich Al Qaida eine Aktion auf ihre Fahnen schreiben, die sie selbst nicht organisiert hat. Diese Technik des Franchising zeigt, dass Al Qaida eine höchst moderne Organisation ist: Sie ist dezentralisiert, flexibel, kann delegieren und ist imagebewusst. Das gescheiterte Attentat von London am 21. Juli 2005 scheint in die Kategorie des Franchising zu fallen, während das Attentat von Casablanca 2003, das zunächst auch Al Qaida zugeschrieben wurde, tatsächlich von der marokkanischen Islamischen Gruppe verübt wurde, die Beziehungen zu Al Qaida unterhält und auch mit dem Attentat von Madrid zu tun hatte. Aber wie flexibel eine Verbindung auch sein kann, zeigt das Attentat von Istanbul 2003: In dem Fall organisierten sich die Beteiligten untereinander, bereiteten den Anschlag vor und nahmen erst bei einer Reise nach Afghanistan unmittelbar vor dem 11. September mit Al Qaida Kontakt auf.
    • Filialen: Lokale, relativ territorial gebundene Organisationen, das heißt solche, die in einem begrenzten Raum agieren, der einem Land oder einem Sprachgebiet entspricht, die ihre eigene Geschichte haben und von Al Qaida instrumentalisiert werden, bis sie sich schließlich selbst explizit auf Al Qaida berufen.
Wir finden solche Organisationen in Indonesien (Jemah Islamiyya), in der nördlichen Sahelzone (die Salafistische Predigt- und Kampfgruppe GSPC, die im Januar 2007 den Namen »Al-Qaida-Organisation im Maghreb« angenommen hat), im sunnitischen Dreieck des Irak (mit der Gruppe um Zarkawi) und in Saudi-Arabien. Diese Organisationen brauchen Al Qaida nicht, um neue Mitglieder anzuwerben und zu funktionieren. Wenn sie sich Al Qaida annähern, dann deshalb, weil sie ein Problem damit haben, ein lokales Ziel zu definieren und umzusetzen (etwa die Errichtung eines islamischen Staats); sie werden gewissermaßen mangels lokaler Aktionsmöglichkeiten stellvertretend global. Auf der anderen Seite haben Angehörige dieser Organisationen bereits Dschihads im Ausland geführt und dabei persönliche Kontakte zu Al-Qaida-Mitgliedern geknüpft wie der Indonesier Ridwan Isamuddin, genannt Hambali. Der Fall Saudi-Arabiens ist komplexer, weil es dort anscheinend zwei Netzwerke gibt, die teils nebeneinander existieren, teils sich überschneiden: die Saudis im engeren Sinne und die ausländischen Freiwilligen (der Franko-Marokkaner Mejjati ist an der Spitze einer solchen Gruppe gestorben). Wir haben gesehen, dass junge Leute aus dem Westen in die Länder des Dschihad gegangen sind und dann zurückkehrten, um in Europa Anschläge zu verüben. Aber diese Netze funktionieren in beide Richtungen, ohne dass ein Anfangspunkt und ein Endpunkt zu identifizieren ist.

    • Verbindungen und Netzwerke: Eine besondere Verbindung entwickelt sich zwischen Al Qaida und den radikalen Netzen Pakistans. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Führung von Al Qaida in Pakistan sitzt, das ist seit Ende 2001 bekannt, wird aber von den pakistanischen Behörden bestritten und von den Amerikanern mit Schweigen übergangen. Die Organisation ist daher im Hinblick auf ihre Sicherheit sowie Möglichkeiten der Kommunikation von diesen Bewegungen abhängig: Es gibt eine »Pakistanisierung« von Al Qaida. Aber wir erleben umgekehrt auch eine »Al-Qaidaisierung« der radikalen Kräfte in Pakistan, die aus der Region, in der sie bisher
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