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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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Geburtsland, das Land, in dem sie eine radikale Gesinnung entwickeln, und der Ort, an dem sie ihre Taten verüben, unterscheiden sich in der Regel. Die Attentäter, die die Flugzeuge in das World Trade Center lenkten, und die Terror-Ärzte in Großbritannien (Juni 2007) hatten eine regelrecht internationale Laufbahn hinter sich.
     
    Man darf sich Al Qaida nicht als eine politische Organisation vorstellen, die ein bestimmtes Gebiet erobern und dort herrschen will. Al Qaida verfolgt eine doppelte Strategie. Zum einen zettelt sie ein direktes Kräftemessen mit den Großen oder vielmehr dem Großen an, was gleichbedeutend ist mit der Macht Amerikas, und setzt dabei weniger auf den realen Schaden (ob finanzieller Art oder in Gestalt einer großen Anzahl von Todesopfern), sondern nutzt die Kraft der Bilder, die mediale Wirkung und den Schrecken. Andererseits profitiert
sie parasitär von den vorhandenen Konflikten und deutet sie zum globalen Dschihad gegen den Westen um. Die spiegelbildliche Entsprechung der im Westen kursierenden Theorie vom Zusammenprall der Kulturen verstärkt dabei den Effekt noch. Tatsächlich ist Al Qaida auf diejenigen, die sie dämonisieren, durchaus angewiesen, denn auch in diesem Fall gilt, dass die Wahrnehmung zum politischen Handeln führt.
     
    Ist Al Qaida eine Organisation von Menschen, die am Rande stehen? Wir müssen uns den Begriff »Rand« hier in seiner ganzen Bedeutungsvielfalt vornehmen. Wiederholt wurde gesagt: Die bevorzugten Dschihads der Al-Qaida-Truppen fanden in Afghanistan, Bosnien, Tschetschenien und Kaschmir statt. Dort sind sie zu Kämpfern geworden, und dort haben sie jene persönlichen Netze geknüpft, die mittlerweile die Macht der Organisation ausmachen.
    Natürlich ist dauernd von Palästina die Rede, aber Palästina spielt gegenüber anderen Schauplätzen keine herausgehobene Rolle. Nur wenige Kämpfer haben sich an den Schauplatz des israelisch-palästinensischen Konflikts begeben - meines Wissens waren es genau zwei, sofern sie überhaupt Mitglieder von Al Qaida waren -, während die Militanten der extremen Linken im Westen (von der deutschen RAF bis zur Japanischen Roten Armee) diesen Konflikt stets ganz oben auf ihre Prioritätenliste gesetzt hatten. Kleine Gruppen wie die von Abu Nidal nahmen bevorzugt jüdische und israelische Ziele ins Visier, Al Qaida hingegen vernachlässigt solche
Ziele zwar nicht (man denke an die Anschläge in Casablanca und Istanbul), wählt aber lieber »globale« Ziele, also große Städte, Finanzzentren und Massentransportmittel. Darin spiegelt sich ihr Wunsch wider, als eine weltumspannende Bedrohung des Westens aufzutreten und nicht als ein ausführendes Organ kommunitärer und regionaler Abrechnungen, von denen der Durchschnittsbürger im Westen sich nicht betroffen fühlen muss.
    Im Übrigen gilt für die jungen Leute, die sich Al Qaida anschließen oder in einen aktuellen Dschihad ziehen, dass ihre Entscheidung in der Regel einen Bruch markiert: den Bruch mit der Familie, ihrem Umfeld, ihrem Herkunftsland wie auch mit dem Land, in dem sie leben. Mit Ausnahme einiger Pakistanis ist kein in Europa rekrutiertes Al-Qaida-Mitglied in das Heimatland seiner Familie zurückgekehrt, alle haben eine extreme Version des Salafismus angenommen und mit dem traditionelleren Islam ihrer Familien gebrochen. Fast alle führten ein durch und durch westliches Leben, bevor sie sich schlagartig auf eine streng religiöse Praxis besannen. Der Schritt zur Gewalttat folgte dann meist sehr rasch auf die Rückkehr zur Religion beziehungsweise auf die Konversion. Frappierend ist, wie ungläubig nach jeder Festnahme oder Tötung eines Terroristen die Umgebung und die Familie reagieren, anders als man es bei palästinensischen und tschetschenischen Selbstmordattentätern erlebt. Seit den Anschlägen von London ist für Journalisten die Befragung des Umfelds absolut obligatorisch, und dort wird regelmäßig betont,
wie gut integriert der junge Mann war, dass er flirtete, Alkohol trank und so weiter, bis zu jenem Tag … Fast alle Terroristen haben im Westen den Islam wiederentdeckt und im Umkreis einer Moschee zum Islam gefunden, zunehmend häufiger auch unter dem Einfluss eines lokalen »Gurus« wie des Straßenpredigers Farid Benyettou, der im Januar 2005 im Alter von 23 Jahren festgenommen wurde, nachdem er eine Gruppe junger Leute aus der Cité Curial im 19. Pariser Arrondissement für den Einsatz im Irak rekrutiert hatte.
     
    Der »Rand« hat hier nichts
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