Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall Sneijder

Der Fall Sneijder

Titel: Der Fall Sneijder
Autoren: Jean-Paul Dubois
Vom Netzwerk:
auf dem Taschenrechner herum. Er schrieb keine Rechnungen, zählte ebenso wenig irgendwelche Steuern zusammen, sondern wühlte sich durch die Liste seiner Primzahlen auf der Suche nach einem Goldklumpen, nach dem kleinen gespiegelten Schmuckstück mit der Sechs in der Mitte als Scharnier.
    »Verstanden. Und nun ziehen Sie Leine.«
    »Wissen Sie, was Sie sind? Ein Irrer. Ein armer Irrer, und ein Nichtsnutz dazu. Ein elender Nichtsnutz.«
    Ein übler Freitag, einer jener Tage, die das Leben auf den Kopf stellen können. Bréguet hatte etwas gesagt, das er bessernicht gesagt hätte, an einem Tag, an dem er es besser gelassen hätte. Und ich, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, stürzte mich wie ein Akita auf den Psychoanalytiker. Mit derselben Angriffslust wie ein Kampfhund. Zwei Angestellte und Charisteas’ ganze Kraft waren nötig, um dieser primitiven Animalität Einhalt zu gebieten und uns auseinanderzubringen. Die Hunde in den Käfigen bellten. Aufgelöst und zerzaust wie er war, glich der Analytiker einem Wagenhändler, der gerade einen Autounfall überstanden hatte.
    Charisteas bat Bréguet in sein Büro und unterhielt sich lange mit ihm. Ich nutzte die Gelegenheit, um zu den Hundezwingern zu gehen und mich zu beruhigen. Charlie und Watson legten sich hin. Ich streichelte sie. Der Geruch ihres Fells legte sich über meine Hände. Ich spürte die Wärme ihrer Körper. In regelmäßigen Abständen leckte mir die Hündin zärtlich mit der Zunge über die Finger. Ich wusste, dass dies mein letzter Besuch war, dass wir uns nicht wiedersehen würden.
    »Um Himmels willen, Paul, was haben Sie sich nur dabei gedacht? Wie konnten Sie so etwas tun? Jemand wie Sie!«
    »Es tut mir leid.«
    »Warum haben Sie ihn angegriffen?«
    »Er hat mich beleidigt.«
    »Bréguet? Er hat Sie beleidigt?«
    »Hören Sie, das spielt jetzt keine Rolle mehr, die Sache ist erledigt.«
    »Doch, es spielt eine Rolle, denn nach dem, was sich zugetragen hat, weiß ich nicht, ob ich Sie noch behalten kann. Bréguet verlangt, dass Sie gehen. Sonst zieht er seinen Hund zurück. Außerdem hat er mir gedroht, überall herumzuerzählen,was hier abgelaufen ist und dass ein gefährlicher Kerl bei mir arbeitet, der einen schweren Schaden hat. Verflucht, es lief doch alles so gut, was ist nur in Sie gefahren?«
    »Nichts, es gibt kein Problem, ich gehe und die Sache ist geregelt. Es tut mir leid, dass ich Ihnen all die Unannehmlichkeiten bereitet habe.«
    »Wollen Sie mir nicht sagen, was er Ihnen an den Kopf geworfen hat, dass Sie sich dermaßen aufgeregt haben?«
    Ich lief zur Bushaltestelle in der Nähe vom Bell Campus. Ich sah die Angestellten aus dem großen Gebäude strömen und nach Hause fahren. Sie hatten ihr eigenes Auto und ein Privatleben. Die meisten waren verheiratet und hatten Kinder. Einige betrogen ihre Frau und andere ihren Mann. Und alle träumten von einem besseren Leben, das noch bevorstand. Ich betrachtete die vielen erleuchteten Fenster in den Bürotürmen am Fluss. In diesen kleinen hellen Quadraten traten Menschen aufeinander zu. So war es immer, wenn die Nacht hereinbrach.
    Ich wusste nicht, wann ich auf diese Insel zurückkehren und ob die Gesellschaft der Hunde mir fehlen würde. Ein normaler Tag ging zu Ende. Ich hatte gekämpft. Ich hatte keine Arbeit mehr. Mein Ekzem breitete sich weiter aus. Der Bus verließ den Boulevard René-Lévesque und bog in die Autoroute Bonaventure. Hinter den Silos von Canada Maltage erhoben sich die großen Wohnhäuser von Montreal. Verglichen mit dem Burj Khalifa sahen sie aus wie Geräteschuppen.»Wie konntest du mir das antun?«
    Anna erwartete mich an der Tür. Wutentbrannt und mit zitternder Stimme trat sie ans Fenster, wandte sich um, steuerte auf mich zu, bevor sie abrupt eine andere Richtung einschlug und erneut gegen eine imaginäre Wand prallte.
    »Mich auf diese Weise vor einem Arbeitskollegen zu demütigen!«
    »Inwiefern habe ich wen auch immer gedemütigt? Ich bin nur mit den Hunden spazieren gegangen.«
    »Willst du mich zum Narren halten? Hast du dich mal angesehen? Weißt du, wie du aussiehst mit diesen drei idiotischen Kötern am Ende der Leine? In deinem Alter? Mit diesem lächerlichen Cape? Verflucht! Wo lebst du eigentlich? Wer bist du? Hast du den Verstand verloren oder was? Ich höre noch, wie du kleinlaut erwiderst: ›Nein, ich habe kein Unternehmen, ich arbeite für einen Vorgesetzten.‹ Du hast recht, darauf kannst du stolz sein! Mit sechzig Jahren führst du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher