Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall Sneijder

Der Fall Sneijder

Titel: Der Fall Sneijder
Autoren: Jean-Paul Dubois
Vom Netzwerk:
meinen Schreibtisch auf, sortierte die Artikel über den Burj Khalifa in einen neuen Schnellhefter und kaufte mir auf der Internetseite der holländischen Gesellschaft KLM ein Ticket nach Dubai. Der Abflug sollte in zwei Wochen stattfinden. Unzumutbare Flüge mit Zwischenstopps von dreizehn Stunden und fünfzig Minuten auf dem Hinflug und neun Stunden und zwanzig Minuten auf dem Rückflug. Aber wenigstens würden sie so viel Takt haben, den kleinen Hafen von Scheveningen zu überfliegen, wo auf einer Seite die Sneijder Fabriek mit ihren Stahlbooten lag – Boote, die noch heute von den Resten einer Familie handgefertigt wurden, die nach einer Reihe von Scheidungen und Todesfällen in alle Winde verstreut worden war.
    Es war mein erster Tag ohne Hunde, ohne genau getaktete Routine, ohne stundenlange Spaziergänge. Die Gewohnheit hatte sie und mich mit der Zeit zusammengespannt und im selben Tempo voranschreiten lassen, wobei jeder seine Schritte auf die des anderen abgestimmt hatte. Einige Hunde, dachte ich bei mir, hatten wenig Interesse an diesen kleinen Ausflügen gezeigt. Sie waren dem Rhythmus gefolgt, wiewenn man in Reih und Glied marschiert. Andere hingegen hatten über die ganze Spazierrunde hinweg ihr Glück bekundet. Und dann war da noch Charlie mit ihren Augen, die überquollen von all dem, was sie nicht sagen konnte; und Watson, diese hässliche kleine Töle, dieser putzige, durchgedrehte Kläffer, Barychnikov, Balanchin und Béjart in einem, stets von einer Pfote auf die andere hüpfend; und Julius, der Akita mit dem schlechten Ruf, der gefürchtete Yakuza, der mich dennoch adoptiert hatte und nur auf mich hörte. Alle drei wachten über mich, jeder auf seine Weise. Sie waren aufmerksame Hunde und hätten die Geschichte meines Zusammenbruchs bis in die letzte Einzelheit erzählen können.
    Diese Hunde waren in mir. Sie würden immer an meiner Seite spazieren gehen.
    Und wenn es gälte ihr Geschäft aufzuheben, würde ich es tun – für die Eineiigen hingegen hätte ich das nie getan.
    Ich spazierte allein die Alleen des Botanischen Gartens entlang und begab mich unter anderem zu dem Arboretum, wo man im Frühling spektakuläre Verwandlungen beobachten konnte. Zweifellos verspürte auch ich angesichts dieser wuchernden Vegetation ein wenig Erneuerung in mir. Jedenfalls hatte mir der Kauf des Flugtickets eine gewisse Ruhe beschert, als ahnte ich, dass Dubai die Endstation eines langen Umherirrens sein würde.
    Ich dachte an Charisteas. Um diese Zeit würden seine kurzen Finger auf dem Taschenrechner mit unmöglichen Berechnungen beschäftigt sein. Oder aber er verfasste eine neue Anzeige, um meinen Nachfolger zu finden. Er wusste, dass der Bewerber zwanzig Jahre alt wäre und diese Arbeit nur annähme, um sich ein Cabrio leisten zu können. Er hätte keineEkzeme, würde sich aber weigern, Julius auszuführen. Bréguet würde versuchen, ihn für Toronto zu gewinnen. Ich hoffte, dass Charlie ihn nicht einmal ansehen würde.
    Als ich den Garten verließ, nahm ich den Bus ins Zentrum, ohne konkreteres Ziel, als durch die Straßen zu schlendern. Hier war eine andere Welt. Sie stand im völligen Gegensatz zur Trägheit der Insel. Hier war alles in Bewegung; dem Leben haftete etwas Hektisches und Gebieterisches an. Man musste mitmachen, dem Strom, dem Rhythmus folgen. Die Codes kennen. Die Gerüche herausfiltern. Ich hatte diese Fähigkeit verloren. Ich sah mich um, horchte. Wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Da war ein Kino, das einen isländisch-japanischen Film mit dem Titel Cold Fever zeigte. Ich ging hinein.
    Zweite Reihe. Niemand neben mir. Wenig Zuschauer im Saal, überall verteilt. Das Bild, kalt, mit Schnee und Eis gefüllt. Der Schauspieler schien nicht zu verstehen, was um ihn herum geschah. Er wiederholte häufig die Worte: »Strange country« . Er stammte aus Tokio und war nach Reykjavik gekommen. Um ihn herum sangen die Menschen Weihnachtslieder. Dann schien es, als würden sich die Bilder plötzlich ihres Inhalts entleeren. Ich konnte kaum mehr atmen, mein Herz schlug mir bis zum Hals, mir rann der Schweiß. Ich wollte aufstehen, hatte aber das Gefühl, mit dem Sessel eine Einheit zu bilden, selbst nur noch ein passives Element, ein Gestell zu sein. Ich war eingeschlossen in einem Tropfen Harz. Es gab immer weniger Luft. Wie in der SAQ. Wie in dem Aufzug nach dem Unfall. Ich musste raus aus dem Gehäuse. Die Augen schließen und atmen. Es gelang mir aufzustehen, ein paar Schritte im Gang zu tun
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher