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Geld im Mittelalter

Geld im Mittelalter

Titel: Geld im Mittelalter
Autoren: Jacques Le Golf
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Einleitung
    U m was es sich beim »Geld« handelt 1 , dafür gab es im Mittelalter keine einheitliche Bezeichnung, weder im Lateinischen noch in den Volkssprachen. Was wir heute unter Geld verstehen, also der Begriff, mit dem der vorliegende Essay betitelt ist, ist ein Produkt der Moderne. Damit sei schon vorab gesagt, dass Geld im Mittelalter keine vorrangige Rolle gespielt hat, weder in ökonomischer oder politischer, noch in psychologischer oder ethischer Hinsicht. Bezeichnungen, die im mittelalterlichen Französisch der heutigen Bedeutung des Wortes am nächsten kommen, sind: monnaie , denier und pécune , etwa Münze, Pfennig und pecunia 2 . Die realen Dinge, die man heutzutage mit dem Terminus »Geld« bezeichnet, sind nicht dieselben, die das Wesen des damaligen Reichtums ausmachten. Dass »der Reiche« im Mittelalter geboren wurde, wie ein japanischer Mediävist behauptet hat, erscheint mir fraglich, sicher ist allerdings, dass dieser Reiche mindestens genauso reich an Land, Menschen und Macht gewesen ist wie an ausgemünztem Silber.
    Hinsichtlich des Geldes stellt das Mittelalter auf die lange Zeitspanne der Geschichte gesehen eine Phase der Regression dar. Geld war weniger wichtig, weniger präsent, als es das im Römischen Reich gewesen war, und von weit geringerer Bedeutung, als es das ab dem 16. und insbesondere ab dem 18. Jahrhundert sein würde. Geld war zwar eine Realität, mit der die mittelalterliche Gesellschaft immer stärker rechnen musste und die Formen anzunehmen begann, die ihm in der Moderne eignen werden, aber die Menschen des Mittelalters, einschließlich der Kaufleute, Kleriker und Theologen, hatten nie eine klare, einheitliche Vorstellung davon, was wir heute unter diesem Begriff fassen.
    Zwei wesentliche Themen werden uns in diesem Essay beschäftigen. Welches Los war dem Münzgeld, oder besser: den vielen Münzsorten, in der Wirtschaft, im Leben, in der Mentalität des Mittelalters beschieden? Und wie wurde in dieser religiös geprägten Gesellschaft die von den Christen einzunehmende Haltung gegenüber Geld und seiner Verwendung aufgefasst und gelehrt? Mein Eindruck zum ersten Punkt ist, dass Münzgeld das gesamte Mittelalter hindurch eine seltene Erscheinung, vor allem aber von einer Grundherrschaft zur nächsten in jeweils unterschiedlichen Sorten in Gebrauch war und dass diese Uneinheitlichkeit eine der Ursachen dafür gewesen ist, weshalb sich eine Entwicklung in wirtschaftlicher Hinsicht so schwierig gestaltete. Was das zweite Thema anbelangt, ist zu beobachten, dass das Streben nach Geld und der Umgang mit Geld schrittweise eine Rechtfertigung und Legitimierung erfuhren, sowohl auf individueller als auch auf staatlicher Ebene, trotz der Vorbehalte seitens jener Institution, die Beschränkungen veranlasste und diese steuerte, der Kirche.
    Mit Albert Rigaudière lässt sich noch einmal unterstreichen, wie schwer zu fassen dieses Geld ist, das hier untersucht wird: »Wer immer sich an einer Definition versucht, stets entgleitet sie. Geld ist Realität und Fiktion zugleich, Substanz und Funktion, Objekt und Mittel der Eroberung, der Gegenwert für Schutz und Ausschluss, Motor und Zweckbestimmung zwischenmenschlicher Beziehungen; es lässt sich nicht als ein großes Ganzes fassen, ebenso wenig, wie es sich auf eine einzelne Komponente reduzieren lässt.« 3 Ich werde versuchen, diese Vielfalt der Bedeutungen des Geldbegriffs zu berücksichtigen und dem Leser zu verdeutlichen, in welchem Sinn er jeweils in diesem Essay Verwendung findet.
    Untersucht man den Stellenwert des Geldes im Mittelalter, so kommt man nicht umhin, mindestens zwei große Zeiträume zu unterscheiden. Eine erste Zeitspanne, sagen wir von Kaiser Konstantin bis Franz von Assisi, also vom 4. bis etwa zum ausgehenden 12. Jahrhundert, als Silber seltener wurde und das Münzgeld beinahe verschwand, bis allmählich seine Rückkehr in Gang kam. Der soziale Rang innerhalb der Gesellschaft definierte sich damals in erster Linie über den Gegensatz von potentes und humiles , Mächtigen und Schwachen. Später dann, vom frühen 13. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert, setzte sich das Gegensatzpaar dives – pauper durch, reich und arm. Die Revolutionierung der Wirtschaft und der Aufschwung der Städte, die Festigung königlicher Macht und die kirchlichen Predigten, insbesondere der Bettelorden, ermöglichten in der Tat, dass die Geldwirtschaft rasche Verbreitung finden konnte, wobei sie die Schwelle zum Kapitalismus noch nicht
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