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Der Fall Sneijder

Der Fall Sneijder

Titel: Der Fall Sneijder
Autoren: Jean-Paul Dubois
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und Watson, der angesichts des wiedererwachenden Lebens genauso aufgekratzt war wie ein kleines Insekt, huschte zwischen den Pfoten der Großen umher. Am Morgen hatte ich, vor meinem Aufbruch zur Insel, mit Wagner-Leblond telefoniert, um ihm mitzuteilen, dass ich den Artikel über den Unfall in Dubai gelesen hatte.
    »Wie Sie sicherlich festgestellt haben, hatte ich diese Meldung mit einer kleinen gelben Markierung versehen, damit Sie darauf aufmerksam werden.«
    »Ich war bei der Lektüre erschüttert. Sie hat eine Menge Dinge aufgewühlt. Im Grunde rufe ich Sie an, um Ihnen mitzuteilen, dass ich beschlossen habe hinzureisen.«
    »Ganz im Ernst?«
    »Absolut. Ich will in diesen Fahrstuhl steigen. Nur einmal hinauf- und dann wieder hinunterfahren. Zwei Minuten im Ganzen. Hinauf-, hinunterfahren und zurückkehren.«
    »Aber warum um alles in der Welt?«
    Gewiss weil meine Uhr am rechten Handgelenk noch immer dieselbe Zeit anzeigte. Und auch weil ich gesehen hatte. Weil die Bilder noch in mir steckten. Und dort für immer blieben. Im Innern eingesperrt. Verriegelt. Ich war ihr Wächter. Ich war ihr Gefangener.
    Diese drei Hunde waren meine Lieblinge. Jeder strahlte auf seine Weise einen verblüffenden Glückshunger aus, an dem ich mich erfreute. Trotz des reduzierten Lebens, zu dem man sie verdammte, waren sie ausgeglichene, gesunde Hunde, die ihren Genen treu blieben, ganz im Gegensatz zu diesen neurotischen Stadttieren, an denen sich mondäne Tierärzte und ihre Komplizen, die Verhaltenstherapeuten, eine goldene Nase verdienten. Das Besondere an diesen drei Hunden war, dass sie sich der Macht und dem Einfluss ihrer Halter widersetzten. De Lappe hatte sich einen Hund gekauft, der ebenso spektakulär und auffällig war wie seine englische Kleidung, sein deutsches Auto, seine slowakische Gefährtin und eine Menge anderer kleiner oder großer Accessoires, die er nur deshalb begehrte, nur deshalb erworben hatte, um sie anderen zeigen und vorführen zu können. Der Akita war nur ein Stück in seiner Sammlung, ein manchmal problematisches Stück. Charlie hingegen lebte in einem anderen Rahmen, beieinem Analytiker, der auf der Suche nach einem anständigen Leben war, nachdem er jahrelang Autos verkauft hatte, und nun, seiner Patienten überdrüssig geworden, bei Hundewettbewerben und -ausstellungen in verdächtige Erregungszustände verfiel. Cudmore hingegen war ein Rohling, ein rüpelhafter reicher Sack, der alle Probleme mit dem Hackebeil löste. Er brüllte, diktierte, kommandierte und folterte jeden, der sich in seine Nähe wagte. Watson gehörte zu seinen Prügelknaben. Ich fragte mich, wie ein Tier, das derartigen Launen und verderblichen Einflüssen unterworfen war, es dennoch schaffte, ausgeglichen und fröhlich zu sein und sich ein Stück Vertrauen zu uns Menschen zu bewahren. Ich fragte mich, ob es vielleicht mit der Funktionsweise ihres Gedächtnisses zusammenhing, das in der Lage sein musste, das Unwesentliche zu vergessen und alles Schlechte über Bord zu werfen; vielleicht besaßen sie die Fähigkeit, täglich neu geboren zu werden, bei null anzufangen.
    Um sich mir ins Gedächtnis zu rufen, knabberte Watson gelegentlich an meinem Hosenbein. Die Großen waren über solche Kindereien hinaus und schnüffelten lieber am Wegesrand, der sie geradewegs in den Frühling führte. Wir hatten die Grenzen des erlaubten Rundgangs längst hinter uns gelassen und bewegten uns auf verbotenem Territorium. Hier grünte bereits das Gras wieder, gewiss dank der sonnigeren Lage. Die Hunde füllten ihre Lungen mit dem Geruch jedes neuen Grashalms, bevor sie sich mit jener überbordenden Lebenslust, die ihre Halter gewiss voll Missbilligung zur Kenntnis genommen hätten, am Boden wälzten. Ich setzte mich neben sie, streichelte sie abwechselnd und teilte mit ihnen diesen friedlichen sonnigen Moment am Fluss mitten auf einerInsel. Mein Kopf war von allen Gedanken, Ängsten oder Vorahnungen frei, es gab nur eine ferne verschwommene Fata Morgana, die mir hartnäckig vor den Augen flimmerte. Ich befand mich in einem kleinen Fürstentum und träumte von einem Emirat.
    Ich hatte im Internet nach Luftfahrtgesellschaften gesucht, die von Montreal nach Dubai flogen. Es gab keine direkte Verbindung. Man musste in Paris, London oder Amsterdam umsteigen, bevor man südlich nach Dubai abbog, zum Burj Khalifa.
    Charlie schüttelte sich als Erste, gefolgt von Julius, woraufhin wir unseren Spaziergang auf dem Pfad entlang des Sankt-Lorenz-Stroms
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