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Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)

Titel: Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Autoren: Ina Jung , Christoph Lemmer
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Hilfsbereit sei sie, aber Fremden gegenüber keineswegs so aufgeschlossen, wie das andere behaupteten. Eher schüchtern, ein Kind, das niemals zu unbekannten Leuten ins Auto steigen würde.
    Bei den Lehrern in der Grundschule Bad Steben gilt Peggy in den ersten beiden Schuljahren als »aufgeschlossen, lebhaft und selbstbewusst«, ein Kind, das gerne seine »eigenen Wege geht«. Sie besitze eine »gute Auffassungsgabe«, die allerdings oft »unter ihrer Unlust« leide. Mit dem Wechsel zu Anfang der dritten Klasse auf die Grundschule Lichtenberg scheint ein deutlicher Leistungsabfall einhergegangen zu sein. Ihre Schulnoten sind durch die Bank mäßig. Selbst in Mathematik, das sie im Poesiealbum ihrer Freundin Sonja als »Lieblingsfach« bezeichnet, schafft sie nur ein Ausreichend. Immer wieder kommt sie zu spät oder ohne Hausaufgaben in die Schule. Konzentration sei nicht gerade ihre Stärke gewesen, sie habe sich leicht ablenken lassen, manchmal regelrecht abwesend gewirkt, erinnert sich Peggys ehemalige Lehrerin Christl Maier. Immerhin: »Mit Freude beteiligt sie sich am Sportunterricht«, wie es in einem Zeugnis heißt. Seit Oktober 2000 war Peggy Mitglied des TSV Lichtenberg, trainierte dort in der Fußballmannschaft und ging zum Kinderturnen.
    Der Leistungsabfall scheint auch der Mutter nicht verborgen geblieben zu sein. Im April 2001 sucht sie gemeinsam mit Peggy einen Arzt auf. Er verschreibt zunächst ein pflanzliches Mittel, später ein Psychopharmakum.
    In diesem Zusammenhang gibt es weitere Erzählungen, die irritieren. Blaue Flecken und Striemen auf Peggys Rücken wollen andere Kinder in der Umkleidekabine vor dem Sportunterricht gesehen haben. Das Mädchen sei ein Häufchen Elend gewesen, das nach dem Training beim TSV Lichtenberg weinte und nicht heim wollte, erinnert sich die Mutter einer Schulfreundin bei ihrer Vernehmung. Peggy habe zwar kaum über ihre Familiensituation gesprochen, aber dass sie ihren Stiefvater nicht mochte, wollen viele im Ort gewusst haben. Mitschüler werden später gegenüber der Polizei behaupten, Ahmet Yilmaz habe Peggy wegen schlechter Noten geschlagen. Überhaupt habe sie sehr darauf geachtet, jedem Zusammentreffen mit ihm ohne Beisein der Mutter aus dem Weg zu gehen.
    Auch hier lässt sich der Wahrheitsgehalt kaum überprüfen. Auf unsere Nachfrage bestritt Yilmaz, das Kind geschlagen zu haben, auch sei er problemlos mit ihr klargekommen, wenn er allein mit ihr gewesen sei. Susanne Knoblochs Aussagen über das Verhältnis des Mädchens zu seinem Stiefvater sind in dieser Hinsicht wenig hilfreich. Am 11. Mai 2001 gibt sie an, Ahmet habe Peggy nie geschlagen, das würde er sich nicht trauen, sie sei »die Dominantere in der Beziehung«. Außerdem hätte Peggy ihr das sofort erzählt. Wer anderes behaupte, der lüge. Zwei Monate später gibt sie indes zu Protokoll, Peggy habe vor ihrem Stiefvater sehr große Angst gehabt. Er habe sie eben doch geschlagen, sie habe selbst gesehen, wie er ihr auf die Hand oder ins Gesicht gehauen habe. Peggy habe regelrechten Horror davor gehabt, mit Ahmet allein in der Wohnung zu sein.
    Peggys Freundin Sonja erinnert sich ebenfalls an blaue Flecken an Peggys Arm, so, als habe jemand sie mit Gewalt gepackt. »Ich habe sie gefragt, wo die her sind, aber Peggy wollte darüber nicht reden.« Überhaupt habe sie nie erzählt, wie es bei ihr zu Hause zuging. Sonja habe trotzdem einiges mitbekommen. Etwa, dass es bei Knoblochs in der Wohnung chaotisch und unordentlich aussah oder dass Peggy nach der Schule statt eines richtigen Mittagessens Schaumwaffeln mit Schokoguss aß. Dafür habe Peggy der Freundin immer wieder von ihren Wochenendausflügen nach Halle vorgeschwärmt, wo sie manchmal mit ihrer Mutter hingefahren sei, um deren Ex-Freund Werner zu besuchen. »Peggy hat uns erzählt, dass es da ganz anders ist als zu Hause, dass sie zum Beispiel im Zoo waren«, erinnert sich Sonja an die Erzählungen über Peggys »Wunschvater«.
    *
    Für die Ermittler, die sich in den folgenden Wochen und Monaten mit dem Fall beschäftigen, ergibt sich aus all diesen Informationen kein klares Bild. Weder über Peggy selbst noch über die »Familie der Vermissten im engeren und weiteren Sinne und das gesamte soziale Umfeld«, wie die Ermittler später diesen Extra-Spurenkomplex bezeichnen. Eine nüchterne Formulierung für die unübersichtliche Lebenssituation des Mädchens mit leiblichem Vater, Wunschvater und Stiefvater, der »Zusatzfamilie« Kaiser in der
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