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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge
Autoren: Èmile Gabroriau
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Wand eingelassenen Safe, nahm ein Bündel Geldscheine heraus und warf es Noël vor die Füße.
    Â»Treiben Sie es nicht zu weit!« sagte Noël drohend und ging einen Schritt auf den Grafen zu. »Ich habe nichts mehr zu verlieren, und daher bin ich gefährlich! Es könnte sein, ich behalte meine Freiheit, und dann ...« Er bückte sich, um das Bündel aufzuheben.
    Â»Wie steht’s mit Ihrem Wort, daß ich den Rest bekomme, sobald ich ihn anfordere?«
    Â»Sie haben mein Wort.«
    Â»Dann kann ich gehen. Befürchten Sie nichts. Ich vertraue auf Ihr Wort, und ich verspreche Ihnen, daß man mich nicht lebend fangen wird. Adieu, Pppa. Es ist eine Schande, daß der wirkliche Verbrecher seiner Strafe entgeht. Ja, der Himmel ist nun einmal ungerecht.«
    Eine Stunde später fanden die Diener den Grafen in seinem Arbeitszimmer auf dem Boden liegen. Er war aufs Gesicht gefallen und gab nur noch schwache Lebenszeichen von sich.
    Noël ging schnellen Schritts, nachdem er das Palais verlassen hatte, die Rue de l’Université hinunter. Ihm war, als schwanke der Boden unter ihm und als drehten sich die Häuser und Passanten. Aber er war auch merkwürdig erleichtert, ja fast fröhlich.
    Alles war vorbei! Es gab keine Angst mehr, kein Erschrecken; er mußte sich nicht mehr verstellen, sich nicht mehr quälen! Er hatte seine Rolle bis zum bitteren Ende gespielt. Jetzt konnte er die Maske herunterreißen, konnte er wieder frei atmen. Mit der Erleichterung stellte sich eine große Müdigkeit ein. Eine Woche lang hatte er seine Nerven bis zum Zerreißen angespannt; jetzt überkam ihn ein großes Bedürfnis nach Ruhe, das ihm alles gleichgültig erscheinen ließ.
    Würde man ihn in dieser Stimmung verhaftet haben, er hätte nicht an Widerstand oder an Flucht gedacht. Für einen Augenblick trat sogar die Versuchung an ihn heran, sich der Polizei zu stellen. Dann hätte er endgültig seinen Frieden.
    Aber dann durchzuckte ihn das Bewußtsein der Gefahr, in der er schwebte. Er sah die Guillotine vor sich, und ihr Bild verscheuchte die Betäubung. Sein Lebenswille regte sich wieder und ließ ihn an seine Rettung denken.
    Auch die Todesangst stellte sich ein. Sie ließ ihn jeden, dem er begegnete, mißtrauisch mustern. Schließlich begann er zu rennen. Er rannte ohne Ziel, ja, ohne es zu wollen, so als versuche er, sich selbst zu entfliehen. Als ihm bewußt wurde, daß er Aufsehen erregte, fiel er wieder in normalen Schritt.
    Als ihm zum erstenmal der Gedanke gekommen war, man könnte ihn als den Mörder entlarven, hatte er sich einen Plan zurechtgelegt, in dem jede nur denkbare Vorsichtsmaßnahme ihren Platz hatte. Aber nun, in der Aufregung, fiel ihm nichts mehr ein. Zudem war jetzt alles Vorausdenken sinnlos geworden. Tatsache war, daß man nach ihm suchte, und er konnte sich nicht vorstellen, daß er an irgendeinem Punkt der Welt vollkommen sicher war.
    Sicherlich war man ihm schon auf der Spur, zirkulierte schon die Beschreibung seiner Person. Seine Krawatte, sein Schnurrbart, alles konnte ihn verraten. Er überlegte, ob er sich den Schnurrbart bei einem Friseur abnehmen lassen sollte. Aber selbst das würde ihn verdächtig machen, dachte er.
    Mit der hereinbrechenden Dunkelheit fand er sein Selbstvertrauen und seinen Mut wieder. Er dachte daran, wie viele Menschen vor ihm schon in einer ähnlichen Lage gewesen waren und sich gerettet hatten. Wenn er erst jenseits der Grenzen war, würde er einen anderen Namen annehmen, ein ganz anderer Mensch werden. Er besaß Geld, und das war die Hauptsache. Wenn die achtzigtausend Francs ausgegeben waren, konnte er vom lieben Papa noch fünfmal soviel fordern. Vielleicht noch mehr.
    Doch mitten in seine Überlegungen, wie er am besten über die Grenze kommen könne, drängte sich der Gedanke an Juliette.
    Sollte er sie nie wiedersehen? Sie war es doch, für die er den Mord und alles, was damit zusammenhing, begangen hatte. Sie hatte ihn zu allem getrieben, durch ihre Verschwendungssucht. Warum also sollte sie nicht ihren Teil zu seiner Rettung beitragen?
    Sie hat mich nie geliebt, sagte er sich. Jetzt, wo ich ihr nicht mehr nutzen kann, weint sie mir erst recht keine Träne nach. Sie hat ihr Schäfchen im trockenen, sie wird sich einen neuen Galan suchen. Zum Teufel also mit ihr. Außerdem ist es gefährlich, eine Frau auf der Flucht mit sich
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