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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge
Autoren: Èmile Gabroriau
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alte Lerouge wegen des Gelds ermordet hat, wäre er wirklich ein gemeiner Schurke. Wie kann sich jemand nur so verstellen? Und ich wollte ihn zu meinem Erben machen! Kommt denn dieses Frauenzimmer nicht mehr aus dem Laden?
    Es hatte keine Eile, dieses Frauenzimmer. Das Wetter war schön, man sah ihr nach. Sie empfand Freude daran, sich zu zeigen. Ihr Wagen hielt noch vor drei oder vier Geschäften, und jedesmal trat sie vollbepackt auf die Straße. Dann ließ sie sich noch in ein Café fahren.
    Jetzt raste Tabaret bereits vor Zorn. Ungeduldig stampfte er mit den Füßen gegen den Boden der Droschke. Am liebsten wäre er ausgestiegen, hätte sie am Arm gepackt und sie angebrüllt: Ab nach Hause, du mieses Weibsstück! Du weißt wohl nicht, daß dein Freund wahrscheinlich einen Mord begangen hat, weil du ihm das Blut ausgesogen hast?
    Nach einer Ewigkeit verließ sie das Café und bestieg wieder ihren Wagen. In der Rue de Provence ließ sie sich vor ihrer Wohnung absetzen.
    Â»Hier wohnt sie also.« Vater Tabaret stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
    Er stieg vom Wagen, gab dem Kutscher die versprochenen vierzig Francs, bat ihn zu warten und eilte der Frau nach. Er fragte den Pförtner nach dem Namen der jungen Dame, die soeben vorübergegangen sei. »Sie heißt Juliette Chaffour, wohnt in der zweiten Etage.«
    Dann saß Vater Tabaret in Madame Juliettes Salon. Die Zofe sagte, Madame zöge sich um und würde gleich erscheinen.
    Der Luxus, der ihn hier umgab, verschlug Tabaret den Atem. Alles war wertvoll und schön. Er schätzte, daß allein der Krimskram auf dem Kaminsims mindestens zwanzigtausend Francs gekostet hatte. Clergeot hatte fürwahr nicht übertrieben.
    Juliettes Eintritt unterbrach seine Musterung. Sie hatte éinen schwarzseidenen Morgenrock übergeworfen; das offene Haar fiel ihr in weichen Wellen auf die Schultern. Tabaret war tief beeindruckt von ihrer Erscheinung. Da kann man schon den Kopf verlieren, dachte er.
    Â»Sie wünschen, Monsieur?« sagte sie und neigte anmutig den Kopf.
    Â»Ich bin ein Freund von Noël Gerdy, Madame, sozusagen sein bester Freund.«
    Â»Nehmen Sie doch Platz.«
    Sie bot Tabaret einen Sessel an, während sie sich auf ein Sofa setzte.
    Â»Madame«, sagte Tabaret, nachdem er seine Blicke von den schönen Füßen in den seidenen Pantoffeln losgerissen hatte, »ich komme in einer ernsten Angelegenheit. Sie waren heute bei Monsieur Gerdy zu Haus.«
    Â»Ich kann mir schon denken, was Sie von mir wollen. Sie sind von Noël geschickt, um mir die Leviten zu lesen. Ich weiß, er mag nicht, daß ich ihn besuche. Er hat es mir sogar streng verboten. Und ich habe mich gefügt, bisher. Aber sagen Sie selbst, Monsieur: Muß es einem nicht auf die Nerven gehen, einen Freund zu haben, über den man nichts weiß, als daß er für gewöhnlich einen schwarzen Mantel und eine weiße Krawatte trägt?«
    Â»Sie waren unvorsichtig.«
    Â»Warum soll ich noch vorsichtig sein, wenn ich höre, daß er heiraten will?«
    Â»Woher wollen Sie das wissen?«
    Â»Von Clergeot. Und wenn es auch keine Heirat ist, ihm geht etwas Ungewöhnliches im Kopf herum. In der letzten Zeit ist er kaum wiederzuerkennen.«
    Tabaret ging es vor allem darum zu erfahren, ob sich Noël ein Alibi für den Abend der Tat zurechtgezimmert hatte. Die Frage war für Tabaret entscheidend. Wenn er das getan hatte, dann war er schuldig; wenn nicht, dann konnte er unschuldig sein. Juliette, glaubte er, konnte ihm hier am ehesten weiterhelfen.
    Â»Wollen Sie die Heirat denn verhindern?«
    Â»Seine Heirat verhindern!« Juliette lachte. »Soll er doch heiraten, der brave Noël. Je früher ich nichts mehr von ihm höre, desto besser ist es für mich.«
    Â»Sie lieben ihn also nicht?« fragte Tabaret.
    Â»Das war einmal, Monsieur. Ich hab’ ihn sogar sehr lieb gehabt. Vier Jahre lang dieses Leben zu führen, das war zuviel. Ich habe zuviel Freude am Leben, um mich schon lebendig einsargen zu lassen. Ich hätte mich bald von ihm getrennt, wenn er mich von sich aus nicht verläßt. Muß ich mir einen Freund aufbürden, der sich meiner schämt, der mich versteckt hält?«
    Â»Wenn ich mich in Ihrem Salon umsehe, Madame, so erkenne ich nichts von seiner Verachtung für Sie«, antwortete Tabaret, um Juliette aus der Reserve zu locken.
    Â»Ja,
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