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Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk
Autoren: Heinrich Wefing
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sogenannten «fremdvölkischen Hilfswilligen», ohne die der Holocaust nicht möglich gewesen wäre, die bislang aber von der bundesdeutschen Justiz geradezu systematisch verschont worden waren.
    Angesichts dieser Vorgeschichte hat Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch nicht nur immer wieder auf die fundamentale Ungleichbehandlung seines Mandanten hingewiesen, dem der Prozess gemacht werde, obwohl die Kommandeure von Sobibor, aber auch alle anderen Trawniki mit milden Strafen davongekommen seien, wenn sie überhaupt belangt wurden. Busch hat zudem wieder und wieder behauptet, mit dem Verfahren gegen Demjanjuk solle deutsche Schuld auf einen kleinen Ukrainer abgewälzt werden, der in der Hierarchie des industriellen Tötens ganz unten stand. Stimmt das? Suchte Deutschland mit diesemProzess von den Verbrechen der Deutschen abzulenken? Unsinn: Jedes Wort, das in diesem Prozess gesprochen wurde, war ein Hinweis auf deutsche Schuld. Jedes Faktum über die Todesmaschinerie in Sobibor, jedes Detail über die «Aktion Reinhard», das im Prozess erwähnt wurde, bekräftigte die überragende, unzweifelhafte Schuld der Deutschen. Hier wurde nichts abgewälzt, hier konnte gar nicht abgelenkt werden, hier wurde die Erinnerung an den von Deutschen betriebenen Holocaust bekräftigt und erweitert.
    Und schließlich: Nein, dies war auch kein «Schauprozess», wie die Verteidigung immer wieder behauptet hat. Ganz im Gegenteil, das Münchner Verfahren war vermutlich das sachlichste und rechtsstaatlich penibelste, das in den vergangenen fast vierzig Jahren gegen John Demjanjuk geführt worden ist. Er hatte selbstverständlich alle Rechte, die jedem Angeklagten vor einem Gericht in der Bundesrepublik zustehen, für ihn galten, in den Worten des Vorsitzenden, «die selben Regeln wie jede Woche». Demjanjuk hätte sich jederzeit äußern können, er wurde ärztlich betreut, auf seine Gebrechen wurde vom Gericht mit aller Langmut Rücksicht genommen. Ihm wurden, auf Kosten der Staatskasse, zwei Verteidiger zur Seite gestellt, der Vorsitzende Richter hat den Prozess meist mit großer Gelassenheit geleitet. Ein solches Verfahren als «Schauprozess» zu bezeichnen, und damit Assoziationen an die organisierten Demütigungen und Perversionen des Rechts zu beschwören, die bei den Stalinschen Tribunalen oder an Roland Freislers «Volksgerichtshof» üblich waren, ist ein absurder Vorwurf.
    Und doch, auch das gehört in eine Schlussbilanz des Prozesses, gab es durchaus Momente, in denen der Eindruck entstand, das Gericht sympathisiere mit der Anklage und den Nebenklägern. Dass der Vorsitzende Richter nach dem Schlussplädoyer des Strafrechtsprofessors Cornelius Nestler ungerügt den spontanen Beifall vieler Zuhörer duldete, mag man als Rücksichtnahme auf die Emotionen der teils betagten Nebenkläger verstehen, ungewöhnlich ist es gleichwohl. Dass der Verteidiger des Angeklagten mit seinen ungezählten Beweisanträgen ausnahmslos scheiterte, dass also kein einziger von über 500 Anträgen von irgendeiner rechtlichen Relevanz gewesen sein soll, das ist schon erstaunlich. Am irritierendsten jedoch war der Umstand, dass das Gericht sein Urteil nur einen Tag nach dem Ende des Schlussplädoyersvon Ulrich Busch verkündete. Viereinhalb Tage lang hatte der Verteidiger seine Sicht der Dinge dargelegt, weit ausgreifend zum Teil, manchmal fahrig und ermüdend. Aber schon vierundzwanzig Stunden nach Buschs letzten Sätzen sprachen die Richter ihr Urteil. Das ist nicht bloß ein extrem kurzer Zeitraum, es ist ein Verhalten, dass kaum einen anderen Eindruck zulässt als den, das Gericht habe sich für die Argumente der Verteidigung nicht sonderlich interessiert. Oder anders gesagt: man könnte glauben, dass das Urteil schon feststand, als Busch noch plädierte. Allein der Umstand, dass ein solcher Eindruck entstehen konnte, wirft ganz am Ende einen Schatten auf das Verfahren.
    Demjanjuk wird vermutlich in Deutschland sterben. In einer Gefängniszelle, sollte er doch noch einmal in Haft genommen werden. Oder, wahrscheinlicher, in einem Altenheim irgendwo zwischen Starnberg und Stralsund, in dem er von Sozialhilfe leben wird. In die USA, zu seiner Familie, wird er wohl nicht zurückkönnen, ganz gleich, wie das Revisionsverfahren ausgeht. Er hat keinen amerikanischen Pass mehr, die Vereinigten Staaten wollen ihn nicht zurück.
    Demjanjuk ist jetzt ein Staatenloser, gestrandet in Deutschland. In dem Land, das seine Heimat überfallen hat. Dessen Truppen ihn
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