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Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk
Autoren: Heinrich Wefing
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nur notwendig der Modus unseres Gedenkens an den nationalsozialistischen Völkermord ändern. Dann, spätestens dann, wird die strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust an ihr Ende kommen. Wenn der letzte Täter gestorben ist, müssen die Staatsanwälte und Richter ihre Akten schließen und sie an die Historiker übergeben. Ohne Täter kein Prozess.
    Was aber ist bis dahin noch zu tun? Soll noch ermittelt und angeklagtwerden, obwohl die Zeit rast und die Zeugen immer weniger werden? Oder ist es weiser, die Strafverfolgung, die immer schwieriger wird, einzustellen? Das ist das Dilemma, vor dem Justiz und Öffentlichkeit stehen. Der Münchner Prozess hat darauf eine klare Antwort gegeben: Das Verfahren gegen John Demjanjuk ist Teil einer letzten, großen Anstrengung, die verbleibende Frist zu nutzen, um die wenigen Täter, die noch leben, endlich zur Rechenschaft zu ziehen.
    Unumstritten aber ist das beileibe nicht. Schon vor zehn Jahren, 2001, hat die britische Publizistin Gitta Sereny gefordert, die juristische Verfolgung von NS-Tätern einzustellen, nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. In einem ihrer Essays über den Fall Demjanjuk schrieb sie: «Obwohl die Verbrechen ein Teil der Geschichte sind und bleiben müssen – die NS-Prozesse müssen beendet werden. Die Beschuldigten, die Überlebenden und die Zeugen sind zu alt: es sind Männer und Frauen, die jetzt achtzig Jahre alt sind oder älter; die Erinnerungen und die Beweise werden zweifelhaft. Die Strafverfolgung ist nicht mehr sicher.»
    Hätte man also besser ganz auf den Prozess verzichten sollen?
    Die juristische Antwort auf diese Frage ist einfach. Sie lautet: Nein. Ein bewusster Verzicht auf Strafverfolgung ist gar nicht möglich. Die Anklageerhebung steht in Deutschland nicht im freien Ermessen eines Staatsanwalts, es gilt vielmehr das «Legalitätsprinzip»: Wenn es einen begründeten Verdacht auf eine Straftat gibt, dann haben die Staatsanwälte keine Wahl, dann müssen sie ermitteln. Anders gesagt: Die Ermittler, die den Fall recherchierten, die Indizien und Beweise gegen Demjanjuk zusammentrugen, die schließlich von seiner Schuld überzeugt waren, diese Ankläger hatten gar keine andere Möglichkeit als anzuklagen, wollten sie sich nicht dem Verdacht der Rechtsbeugung aussetzen.
    Gleiches gilt für das Gericht: Es muss den Prozess eröffnen, wenn nach den Ergebnissen der Ermittlungen der Beschuldigte einer Straftat «hinreichend verdächtig erscheint», wie es die Strafprozessordnung formuliert. Moralische oder politische Opportunitätserwägungen, daran hat der Vorsitzende Richter Ralph Alt in seiner Urteilsbegründung zu Recht erinnert, sind nicht Sache einer Strafkammer.
    Das aber sind letztlich nur formale Argumente. Überzeugen kannein Prozess wie der gegen Demjanjuk lediglich dann, wenn sich am Ende sagen lässt: Dieser Prozess hat etwas bewirkt. Wie steht es mit dieser Frage in diesem Fall?
    Ganz gewiss gelohnt hat sich der Prozess für die Nebenkläger. Manche von ihnen sind anfangs mit großer Skepsis nach München gekommen, voller Vorbehalte und Zweifel. Aber sie alle haben ein Gericht erlebt, das ihr Anliegen überaus ernst genommen und die Angehörigen der Opfer mit größter Umsicht und Sympathie behandelt hat. Ihr wichtigster Vertreter, der Kölner Strafrechtsprofessor Cornelius Nestler, hat gleich zu Beginn seines Plädoyers darauf hingewiesen, wie dankbar und beeindruckt seine Mandanten für den Respekt gewesen seien, den «die deutsche Justiz den jüdischen Opfern der Naziherrschaft» entgegengebracht habe. Nestler sprach von einer «prägenden, einer geradezu überwältigenden Erfahrung». Im Umgang mit diesen älteren Herrschaften hat das Gericht demonstriert, was der Prozess zeigen sollte und tatsächlich gezeigt hat: Dass die deutsche Justiz heute eine völlig andere ist als die, die sich Anfang der dreißiger Jahre bereitwillig, ja begeistert in die Arme der Nationalsozialisten geworfen hat. Und eine andere als die, die in den fünfziger und sechziger Jahren die juristische Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen gebremst, erschwert, verhindert hat, wo sie nur konnte.
    Noch weitaus wichtiger als dieses Erlebnis aber war für die betagten Nebenkläger etwas anderes. Sie, deren Eltern, Geschwister, Tanten und Onkel in Sobibor vergast wurden, haben Gelegenheit bekommen, ihren Verlust zu benennen; manche von ihnen haben zum ersten Mal in ihrem Leben Worte gefunden für das Geschehene.
    Einmal, kurz
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