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Der Fall Collini

Der Fall Collini

Titel: Der Fall Collini
Autoren: Ferdinand von Schirach
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vierunddreißig Jahre beim Daimler gearbeitet, zuletzt als Meister. Seit vier Monaten bin ich pensioniert.«
    »Danke.« Der Richter schob Leinen den Haftbefehl über den Tisch, zwei Seiten auf rotem Papier. Er war noch nicht unterschrieben. Die Angaben stammten aus dem Bericht der Mordkommission. Der Richter las ihn vor. Fabrizio Collini habe Jean-Baptiste Meyer in der Suite 400 im Hotel Adlon getroffen und ihn mit vier Schüssen in den Hinterkopf getötet. Er habe sich bisher nicht geäußert, werde aber durch die Fingerabdrücke an der Schusswaffe, die Blutanhaftungen an seiner Kleidung und seinen Schuhen, die Schmauchspuren an seinen Händen und die Aussagen von Zeugen überführt.
    »Herr Collini, haben Sie den Vorwurf verstanden?«
    »Ja.«
    »Nach dem Gesetz steht es Ihnen frei, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Wenn Sie schweigen, kann das nicht gegen Sie verwendet werden. Sie können Beweiserhebungen beantragen, zum BeispielZeugen benennen. Sie können sich jederzeit mit einem Rechtsanwalt beraten.«
    »Ich möchte nichts sagen.«
    Leinen musste immer wieder auf Collinis Hände sehen.
    Köhler wandte sich an seine Protokollführerin. »Bitte schreiben Sie: Der Angeklagte will sich nicht äußern.« Zu Leinen sagte er: »Möchten Sie etwas für den Beschuldigten erklären, Herr Verteidiger?«
    »Nein.« Leinen wusste, dass es im Moment keinen Sinn hatte, etwas zu sagen.
    Richter Köhler drehte seinen Stuhl zu Collini. »Herr Collini, ich erlasse gegen Sie den Haftbefehl, den ich Ihnen eben vorgelesen habe. Sie haben die Möglichkeit, gegen meine Entscheidung Beschwerde einzureichen oder Haftprüfung zu beantragen. Besprechen Sie das mit Ihrem Anwalt.« Während er sprach, unterzeichnete er den Haftbefehl. Dann sah er kurz zu Reimers und Leinen auf. »Noch Anträge?«, fragte er.
    Reimers schüttelte den Kopf und packte seine Akten zusammen.
    »Ja. Ich beantrage Akteneinsicht«, sagte Leinen.
    »Ist im Protokoll vermerkt. Noch etwas?«
    »Ich beantrage Haftprüfung in mündlicher Verhandlung.«
    »Ebenfalls vermerkt.«
    »Und ich beantrage, mich dem Beschuldigten als Pflichtverteidiger beizuordnen.«
    »Jetzt schon? Na gut. Hat die Staatsanwaltschaft Einwände?«, fragte Köhler.
    »Nein«, sagte Reimers.
    »Dann ergeht folgender Beschluss: Rechtsanwalt Leinen wird dem Beschuldigten Fabrizio Collini als Pflichtverteidiger in diesem Verfahren beigeordnet. Das ist alles?«
    Leinen nickte. Die Protokollführerin zog aus dem Drucker ein Blatt und gab es Köhler. Er überflog es kurz und reichte es Leinen weiter. »Das Protokoll der Sitzung. Ihr Mandant soll es bitte unterzeichnen.«
    Leinen stand auf, las es und legte es auf die hölzerne Schreibunterlage, die auf das Gitter vor die Beschuldigtenbank geschraubt war. Der Kugelschreiber war mit einer dünnen Schnur an das Holzbrett gebunden. Collini riss sie ab, stammelte eine Entschuldigung und unterschrieb das Papier. Leinen gab es dem Richter zurück.
    »So, das war’s dann für heute. Herr Wachtmeister, bitte bringen Sie Herrn Collini rüber. Auf Wiedersehen meine Herrn«, sagte der Richter. Der Wachtmeister schloss die Handschellen wieder um die Hände Collinis und verließ mit ihm das Richterzimmer. Leinen und Reimers standen auf.
    »Ach, Herr Leinen«, sagte Köhler. »Bleiben Sie noch einen Moment.«
    Leinen drehte sich im Türrahmen um. Reimers verließ das Zimmer.
    »Ich wollte das nicht vor Ihrem Mandanten fragen: Wie lange sind Sie jetzt Rechtsanwalt?«
    »Ungefähr einen Monat.«
    »Ihre erste Haftbefehlsverkündung?«
    »Ja.«
    »Dann will ich Ihnen das nachsehen. Aber tun Sie mir doch den Gefallen und schauen Sie sich einmal hier in diesem Zimmer um. Sehen Sie irgendwo Zuhörer?«
    »Nein.«
    »Sie sehen richtig: Es gibt hier keine Zuhörer, es gab noch nie welche und es wird nie welche geben. Haftverkündungen und Haftprüfungen sind nämlich nicht öffentlich. Das wissen Sie doch noch, oder?«
    »… Ja …«
    »Und warum, zum Teufel, tragen Sie dann in meinem Verhandlungszimmer eine Robe?«
    Für eine Sekunde schien der Richter Leinens Unsicherheit zu genießen. »Schon gut, für’s nächste Mal. Viel Glück bei der Verteidigung.« Er nahm die nächste Akte vom Stapel.
    »Wiedersehen«, murmelte Leinen, der Richter antwortete nicht.
    Vor der Tür stand Reimers und wartete auf ihn. »Sie können die Akte am Dienstag auf meiner Geschäftsstelle abholen, Herr Leinen.«
    »Danke.«
    »Waren Sie nicht Referendar bei uns?«
    »Ja, vor zwei Jahren.
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