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Der erste Weltkrieg

Der erste Weltkrieg

Titel: Der erste Weltkrieg
Autoren: Volker Berghahn
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Ersten Weltkrieg als die «Urkatastrophe» des gewaltsamen 20. Jahrhunderts ansehen.
3. Der Erste Weltkrieg und die Geschichtswissenschaft
    Betrachtet man die Entwicklung der Geschichtswissenschaft nach 1918, wird schnell deutlich, dass der Ausgang des Ersten Weltkrieges und die Verbitterung, die seine verheerenden Verluste verursachten, zu einer starken Politisierung der historischenGelehrsamkeit führten. Die so genannte Kriegsschuldfrage löste Debatten aus, an denen sich so gut wie alle bekannten Wissenschaftler des Westens einerseits und Zentraleuropas andererseits beteiligten. Die beiden Lager standen sich mit diametral entgegengesetzten Argumenten fast unversöhnlich gegenüber. Die Engländer, Franzosen und Belgier machten Deutschland und Österreich-Ungarn für die Auslösung der Katastrophe verantwortlich. Die Letzteren wiesen eine derartige Schuld empört zurück. Mitte der zwanziger Jahre bemühten sich sodann einige amerikanische Historiker, voran Sidney Fay und Elmer Barnes, eine vermittelnde Position zu entwickeln. Doch der Aufstieg Hitlers und die Korrumpierung der deutschen Geschichtswissenschaft während der Nazi-Zeit machten auch diese Ansätze zunichte.
    Indessen geht es in diesem Abschnitt nicht um eine Zusammenfassung der Forschung über den Kriegsausbruch seit 1945. Vielmehr wollen wir uns unserem Thema hier aus einer breiteren Perspektive nähern. Es geht darum, die umfassenderen Tendenzen in der Geschichtswissenschaft seit dem Zweiten Weltkrieg nachzuzeichnen. Waren es doch die Verschiebungen, die sich dabei ergaben, die auf die Forschungsschwerpunkte zum Weltkrieg zurückwirkten und infolgedessen auch die Strukturierung dieses Bandes beeinflusst haben.
    Gerade wenn man die Veröffentlichungen zu diesem Thema der letzten zehn Jahre betrachtet, zeigt sich deutlich, wie stark sich ein Wandel von der Politik- und Militärgeschichte hinweg zur Sozial- und Kulturgeschichte des Krieges vollzogen hat. In den fünfziger Jahren war es noch ganz selbstverständlich gewesen, dass man bei der Untersuchung nicht nur der Ursachen des Konflikts, sondern auch seines Verlaufes die «große Politik» abhandelte. Man untersuchte die internationale Diplomatie und die diversen Bemühungen der Kriegführenden wie der Neutralen, einen Kompromissfrieden zu erreichen. Ebenso entsprach es diesem Forschungsansatz, dass man sich der Frage der Kriegsziele und der Erringung eines «Siegfriedens» zuwandte. Diese Analysen wurden ergänzt durch Studien zur Entwicklung der Innenpolitik in den einzelnen Ländern. Zusammen mitder Politikgeschichte beschäftigte man sich mit den großen Schlachten, wobei es in erster Linie darum ging, die Feldherren und deren strategische Entscheidungen zu verstehen.
    Während diese Schwerpunkte in den sechziger Jahren weiterverfolgt wurden und u.a. die Bücher des Hamburger Historikers Fritz Fischer zum Kriegsausbruch und zu den deutschen Kriegszielen sowie das Alterswerk des Freiburger Doyens der westdeutschen Historikerschaft, Gerhard Ritter, hervorbrachten, kam die Wirtschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs stärker in Gang. Damals erschienen auch genauere Studien, die die Kosten des Konflikts statistisch zu erfassen suchten. Diese Analysen verschmolzen schließlich mit einem anderen, zunächst quantifizierenden Ansatz, der Demographie. Ihr war es zu verdanken, dass zum ersten Male verlässlichere Zahlen über Menschenverluste vorgelegt werden konnten.
    Parallel dazu entstanden Untersuchungen mehr politökonomischer Art, wofür die frühen Arbeiten des amerikanischen Historikers Gerald D. Feldman ein hervorragendes Beispiel sind. Bei ihm standen die großen Blöcke von Staat/Armee, Arbeitgebern und Gewerkschaften im Mittelpunkt. Es ging ihm um ein Verständnis des sich dynamisch verschiebenden Machtgefüges. Das waren Perspektiven, die dann auch von den Neo-Marxisten und der liberalen Interessengruppenforschung aufgenommen wurden. Allerdings ging es den Ersteren mehr darum, die russischen und zentraleuropäischen Revolutionen mit einem mehr oder weniger orthodoxen Klassenkonflikt-Modell zu erklären. Vor diesem Hintergrund ist auch der Versuch des Berliner Historikers Jürgen Kocka zu sehen, der das marxsche Konflikt-Modell nicht als vorgegebene Problemlösung, sondern als Fragestellung auffasste. Für ihn war das Modell ein Idealtypus im Sinne Max Webers, das er dann mit dem historischen Material konfrontierte, um Abweichungen in der tatsächlichen historischen Entwicklung zu
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