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Der erste Weltkrieg

Der erste Weltkrieg

Titel: Der erste Weltkrieg
Autoren: Volker Berghahn
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einem Maskenbildner angefertigte Maske trugen. In den Lazaretten, in denen ihre Gesichter wieder zusammengeflickt wurden, waren Spiegel verboten.
    Schließlich gab es noch Hunderttausende, die bei physischer Gesundheit seelischen Schaden davongetragen hatten. Im Prinzip galt dies wohl für jeden, der die noch zu schildernden Materialschlachten im Westen in den Schützengräben miterlebt hatte. In einer Zeit unterentwickelter psychiatrischer Betreuung versuchten freilich die meisten, mit ihren seelischen Nöten allein oder im Kreise der Familie fertig zu werden. Für die, denen dies nicht aus eigenen Kräften einigermaßen gelang, standen Spezialkliniken zur Verfügung. Dort wurden während des Krieges und danach Tausende von Soldaten und Offizieren behandelt,die einen «Shell Shock», eine Kriegsneurose, erlitten hatten. Zu diesen Patienten gehörten jene, die nach stunden- und tagelangen Artilleriebombardements in den Unterständen plötzlich schreiend ins Freie liefen und entweder orientierungslos im Niemandsland Opfer der gegnerischen Scharfschützen wurden oder, sofern sie in der Etappe von der Militärpolizei aufgegriffen wurden, zuerst als Deserteure behandelt und in einigen Fällen anschließend standrechtlich erschossen wurden.
    Erst langsam erkannten die Militärärzte, dass die Betroffenen einen hysterischen Anfall erlitten hatten und der psychotherapeutischen Behandlung bedurften. In vielen Fällen war diese erfolgreich. Aber es gab auch nach dem Kriege vielerorts noch Patienten, die seelisch völlig gestört waren; die etwa bei einem unerwarteten, lauten Geräusch einen Zitteranfall bekamen oder sich stumm unter ihrem Bett verkrochen.
    Die bisherige Schilderung der menschlichen Verluste des Weltkrieges versuchte einen Begriff davon zu vermitteln, welche menschlichen Kosten und Belastungen das Geschehen an den Fronten für die Soldaten selbst, ihre Familien und die Gesellschaften der beteiligten Nationen mit sich brachte. Wenden wir uns den materiellen Verlusten zu, glichen Teile Nordfrankreichs und Flanderns 1918 einer leblosen Schlammwüste mit riesigen Trichtern und Baumstümpfen. An die 25.000 Quadratkilometer an landwirtschaftlichem Boden und Forsten waren zerstört; 1,3 Millionen Kopf Vieh gingen verloren, und 250.000 Gebäude lagen in Trümmern. Im Osten waren die physischen Zerstörungen ebenfalls groß und großflächiger, da manche Regionen mehrmals von der einen Seite erobert und dann von der anderen zurückerobert worden waren. Soweit bekannt, ist es nie möglich gewesen, für den Osten eine Gesamtverlustrechnung aufzustellen.
    Diese Zerstörungen waren vor allem von Waffen verursacht, die vor 1914 produziert und aus den Staatshaushalten teuer bezahlt worden waren. So gab die Triple Entente (England, Russland, Frankreich) 1913 zusammengenommen 246,2 Millionen Pfund Sterling, Deutschland und Österreich-Ungarn 118,4 Millionen Pfund Sterling aus. Zwischen 1890 und 1913wuchsen die Verteidigungshaushalte für die Triple Entente um 164,2 %, für den Zweibund um 158,5 %. Die Staatsverschuldung erhöhte sich 1913 im Vergleich zu 1887 in Frankreich um 39 %, in Deutschland um 153 % und im Zarenreich um 137 %. Nur England verzeichnete einen Rückgang um 5 %.
    Allerdings verblassten diese Rüstungsausgaben aus der Vorkriegszeit im Vergleich zu den Kosten der Kriegführung nach 1914. Dabei ist zu betonen, dass es sich bei den folgenden Statistiken um grobe Schätzungen handelt. Was diese Schätzungen so schwierig machte, war einerseits, dass die Geldentwertung die Staatsschulden z.T. dramatisch verringerte. Zum anderen führte die fortschreitende Totalisierung des Krieges zu erhöhten Investitionen und zu einer Modernisierung der Produktionsapparate, nicht zuletzt auch weil die Maschinen bei ihrem Dauereinsatz schneller verschlissen wurden.
    Stellt man diese und andere Faktoren in Rechnung, kostete der Weltkrieg die Großmächte auf beiden Seiten über 175 Milliarden $. Davon trugen Deutschland und Großbritannien mit 37,8 bzw. 35,3 Milliarden den höchsten Anteil, gefolgt von Frankreich mit 24,3 Milliarden, Amerika mit 22,6 Milliarden, Russland mit 22,3 Milliarden, Österreich-Ungarn mit 20,6 Milliarden und Italien mit 12,4 Milliarden. Am höchsten waren dabei die Materialverluste im Landkrieg. Allein bei der Vorbereitung des britischen Angriffs auf die deutschen Stellungen an der Somme Ende Juni 1916 hagelten auf einen 20 Kilometer langen Abschnitt drei Millionen Granaten
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