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Der erste Weltkrieg

Der erste Weltkrieg

Titel: Der erste Weltkrieg
Autoren: Volker Berghahn
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«Lost Generation», deren Ausfallen infolge des Ersten Weltkrieges manche für die späteren Führungsschwächen Englands verantwortlich machten, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Fähigkeit des Landes, in den dreißiger Jahren auf die Bedrohung durch den Nationalsozialismus eine adäquate Antwort zu finden.
    Schwer war für viele Eltern, Frauen und Kinder, deren Söhne, Ehemänner und Väter im Felde blieben, auch das sich bald ausbreitende Wissen, dass viele von ihnen nicht in Sekundenschnelle, sondern unter großen Qualen umgekommen waren. Wer nämlich bei einem Sturmangriff im Niemandsland zwischen den Drahtverhauen vom feindlichen Maschinengewehrfeuer nicht sofort getötet, sondern nur schwer verwundet worden war und nicht zurückgeholt werden konnte, verendete oft unter fürchterlichen Schmerzen. Doch die Hilfeschreie blieben meist unerhört. Denen, die während einer Gefechtspause zu den eigenen Linien zurückkriechen konnten oder bei einem Artillerieangriff im Unterstand schwer verletzt ins Lazarett eingeliefert wurden, war oft auch nicht mehr zu helfen. Hoffnungslos überlastete Ärzte mussten immer wieder eine schnelle Entscheidung treffen, ob ein Verwundeter noch eine Überlebenschancehatte. Bestand diese nach Ansicht der Ärzte nicht, so erfolgte die Abschiebung in einen Nebensaal, wo den Todgeweihten dann mit schmerzstillenden Mitteln das Sterben erleichtert wurde.
    Die detaillierte Beschreibung der menschlichen Kosten des großen Sterbens an den Fronten, wie sie durch die internationale Forschung inzwischen erfolgt ist, ist auch deshalb bedeutsam, weil neben die individuelle Trauer, die für Millionen von Europäern im Kriege und oft schon im Herbst 1914 begann, die spätere kollektive Verarbeitung des Massensterbens trat. Obwohl wir es hier mit einem Phänomen der Nachkriegszeit zu tun haben, muss es wenigstens kurz erwähnt werden. Denn in dem Bedürfnis nach einer gemeinsamen Erinnerung an die Toten an den jährlichen nationalen Trauertagen und in den Andachten vor den Kriegerdenkmälern, die bald selbst in den kleinsten Gemeinden errichtet wurden, spiegelt sich auch das große Elend, das der Weltkrieg verursacht hatte. War die Erinnerung an das Verlorene doch das Einzige, was vielen Familien noch verblieben war, wenn sie zusammen mit ihren Nachbarn an den «Erinnerungsorten» ihre Blumen und Kränze niederlegten und die tröstenden Worte des Pastors oder des Bürgermeisters anhörten. Für viele Familien war dies der alleinige Ort; denn ein individuelles Grab gab es meist nicht, oder es lag in einem unerreichbar fernen Lande auf einem der vielen Soldatenfriedhöfe.
    Zu den menschlichen Kosten des Weltkrieges gehören schließlich die Verwundeten und oft bis zur Unkenntlichkeit Verstümmelten, die nach Hause kamen. Für sie ergibt sich folgendes Bild:
Deutschland
4,2 Millionen
Österreich-Ungarn
3,6 Millionen
Osmanisches Reich
400.000
 
 
Großbritannien (mit Empire)
2,1 Millionen
Frankreich (mit Empire)
2,7 Millionen
Russland
4,9 Millionen
Italien
947.000
Vereinigte Staaten von Amerika
204.000
    Unter den Schwerverletzten waren einerseits die Arm- und Beinamputierten, von denen viele nicht mehr arbeitsfähig waren und die Tage mit einer mageren Rente bei ihren Familien verbrachten. In England gab es 36.400 Männer mit Schwerstverletzungen (Verlust von zwei Gliedern, Paralyse, permanent Bettlägrige); über 24.000 hatten entweder einen Arm oder ein Bein ganz verloren, während 152.000 unter Teilamputationen ihrer Arme oder Beine litten. Auf die Hilfe der Familie angewiesen, waren sie oft verbittert und von nächtlichen Albträumen geplagt, in denen die schlimmen Gefechtsszenen im Schlaf noch einmal an ihnen vorüberzogen. Viele von ihnen ließen ihre Bitterkeit über ihr Schicksal an ihren Frauen und Kindern aus, indem sie verbal oder gar physisch gewalttätig wurden. In Frankreich verdoppelte sich die Zahl der Scheidungen, die 1913 bei 16.000 gelegen hatte, in den Jahren 1920 und 1921 auf 35.000 bzw. 31.000.
    Manchen der Kriegsversehrten gelang es, eine Arbeit zu finden, die oft aber wenig befriedigend war. Auch aus diesem Grunde war die Zahl derer, die in Depressionen verfielen, groß. Schlimm war auch die Lage derer, die das Augenlicht verloren oder andere schwere Kopfverletzungen davongetragen hatten. In Frankreich als «Männer mit dem zerbrochenen Gesicht» tituliert, konnten sie den Anblick ihres oft grotesk zerstörten Antlitzes im Spiegel nur dadurch ertragen, dass sie eine von
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