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Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 2 - Die Gräber von Atuan
Autoren: Ursula K. LeGuin
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wie Eichenäste waren. Sie hatten hier gegen die Mittagszeit angehalten, als es warm geworden war und sie sich zu erschöpft fühlten, um weiterzugehen. Ein paar niedrige Wacholderbüsche und der westliche Hang des Kammes, den sie gerade herabgestiegen waren, boten genügend Schutz. Sie hatten etwas Wasser aus der Flasche getrunken und sich zum Schlafen niedergelegt.
    Unter den niedrigen Bäumen fand sie einen Armvoll Reisig. In der geschützten Ecke eines Felsens, der halb in der Erde steckte, scharrte sie eine kleine Grube, legte ihre Zweige kunstgerecht übereinander und entzündete sie mit ihrem einfachen Feuerzeug aus Stein und Stahl. Die dürren Blätter und Zweige fingen sofort Feuer, blühten auf zu rosigen Flammen und dufteten nach Harz. Um dieses Feuer herum schien es jetzt ganz dunkel zu sein; an einem überwältigenden Himmel begannen die Sterne zu funkeln.
    Das Knistern des Feuers weckte den Schlafenden. Er setzte sich auf und rieb sich mit den Händen über das staubige Gesicht; schließlich stand er steif auf und kam näher.
    »Ich weiß nicht …«, sagte er verschlafen.
    »Ich weiß, aber wir können die Nacht hier nicht ohne Feuer überstehen. Es wird hier sehr kalt.« Nach eine Pause fügte sie hinzu: »Außer du kannst irgendwelche Magie wirken, die uns warm hält, oder die das Feuer verbirgt …«
    Er setzte sich ans Feuer, seine Füße berührten es fast, und hielt seine Knie mit den Armen umschlungen: »Brrr«, sagte er. »Ein Feuer ist viel besser als Magie. Ich habe einen kleinen Illusionszauber gewirkt: wenn jemand vorbeikommt, sehen wir aus wie Steine und Stöcke. Was meinst du? Werden sie uns verfolgen?«
    »Ich fürchte es, aber ich glaube es nicht wirklich. Nur Kossil wußte, daß du hier bist, Kossil und Manan, und beide sind tot. Sie war sicherlich in der Halle, als sie einstürzte. Sie hat an der Falltür gewartet. Und die anderen glauben, daß ich in der Halle oder in den Gräbern war und im Erdbeben umgekommen bin.« Auch sie hielt ihre Knie umschlungen und schauderte zusammen. »Hoffentlich sind die anderen Gebäude nicht zusammengefallen. Man konnte es nicht richtig vom Hügel aus sehen, zu viel Staub war in der Luft. Die Tempel und Häuser sind doch bestimmt nicht alle zusammengebrochen, und hoffentlich nicht das Großhaus, in dem alle Mädchen schlafen.«
    »Ich glaube nicht. Die Gräber haben sich selbst verschlungen. Als wir uns abwandten, sah ich noch das Golddach irgendeines Tempels stehen. Und am Fuß des Hügels rannten Leute herum.«
    »Was werden die wohl gesagt und gedacht haben … Arme Penthe! Vielleicht muß sie jetzt Hohepriesterin des Gottkönigs werden. Und sie war diejenige, die fortlaufen wollte, nicht ich. Jetzt läuft sie vielleicht wirklich davon.« Tenar lächelte. Ein tiefes, frohes Gefühl erfüllte sie, das keine Gedanken an Dunkles, Trostloses aufkommen ließ; es war die gleiche Glückseligkeit, die in ihr aufgestiegen war, als sie im goldenen Tageslicht erwachte. Sie öffnete die Tasche und entnahm ihr zwei kleine, flache Laibe. Einen reichte sie Ged über das Feuer zu, in den anderen biß sie selbst. Das Brot war zäh und sauer und schmeckte gut.
    Sie kauten eine Weile ohne zu reden.
    »Wie weit ist es bis zum Meer?«
    »Ich brauchte zwei Tage und zwei Nächte, als ich hierherkam. Nun wird es etwas länger dauern.«
    »Ich bin stark«, sagte sie.
    »Stimmt, und tapfer bist du auch. Aber dein Gefährte ist müde«, sagte er lächelnd. »Und wir haben nicht zuviel Brot.«
    »Werden wir Wasser finden?«
    »Ja, morgen, in den Bergen.«
    »Kannst du Essen für uns finden?« fragte sie etwas unsicher und schüchtern.
    »Um zu jagen, braucht man Zeit und Waffen.«
    »Ich meinte – weißt du – mit Zaubersprüchen.«
    »Ich kann einen Hasen herbeirufen«, sagte er und stocherte mit einem knorrigen Wacholderstab im Feuer herum. »Die kommen jetzt rings um uns herum aus ihren Löchern heraus. Das tun sie abends immer. Wenn ich einen beim Namen riefe, würde er kommen. Aber könntest du einen Hasen, den du zu dir gerufen hast, fangen, töten, sein Fell abziehen und braten? Vielleicht, wenn du am Verhungern bist. Es käme einem Vertrauensbruch gleich – meiner Ansicht nach.«
    »Ja. Weißt du, ich dachte, du könntest ganz einfach …«
    »… eine Mahlzeit herbeizaubern«, sagte er. »Oh, natürlich könnte ich das. Auf goldenen Tellern, wenn du möchtest. Aber das ist Illusion, und wenn du Illusionen ißt, bist du danach hungriger als zuvor. Es ist
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