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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
Autoren: Ursula K. LeGuin
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der Wellen um das Boot herum eine Bewölkung aufsteigen, die wie ein riesiger Schwaden immer höher wallte und sich immer langsamer bewegte, als wäre sie mit Sand beschwert.
    Wenn dies Illusion war, so war sie unglaublich mächtig, denn sie spiegelte hier, inmitten der hohen See, Land vor. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, sammelte sich und sprach eine Enthüllungsformel. Er paßte zwischen jeder langsam gesprochenen Silbe scharf auf, um jede Erschütterung, jeden Riß in dieser Illusion wahrzunehmen, die ihm hier, über dem tiefen Abgrund, seichtes Wasser und ein Austrocknen des Meeres vorspiegelte. Aber nichts änderte sich. Vielleicht hatten seine Zauberworte, die für seine eigenen Augen bestimmt waren und an der Magie ringsumher nichts ändern wollten, keine Kraft hier. Vielleicht war es auch keine Illusion, und sie hatten das Ende der Welt erreicht.
    Ohne Pause ruderte Ged weiter. Ab und zu über seine Schulter blickend, steuerte er das Boot durch Untiefen, Sandbänke und Kanäle, die nur er sah. Unter ihm lag die bodenlose Tiefe des Meeres, doch sein Boot fuhr auf eine versteckte Sandbank und saß fest. Ged zog die Ruder ein, die in den Dollen ratterten, und das Geräusch klang erschreckend in der Totenstille. Alle Laute, die Stimme des Windes, des Wassers, des Holzes, des Segels, alles war verstummt, verschluckt von der riesigen, tiefen Stille, die ewiglich währen konnte. Das Boot lag regungslos. Kein Windhauch war zu spüren. Das Meer war Sand geworden, der beschattet und unbeweglich dalag. Nichts rührte sich am Himmel, nichts auf diesem trockenen, unwirklichen Boden, der sich in endlose Fernen um das Boot herum erstreckte und sich in der Finsternis verlor.
    Ged ergriff seinen Stab und stieg leichtfüßig über die Bordwand. Vetsch rechnete damit, daß er hinfallen und im Wasser versinken werde, denn gewißlich mußte das Meer unter diesem trockenen, trüben Schleier liegen, der Wasser, Himmel und Licht verbarg. Aber das Meer war verschwunden. Ged entfernte sich vom Boot. Der dunkle Sand knirschte leise und zeigte seine Fußspuren. Sein Stab begann zu leuchten, nicht mit einem Werlicht, sondern mit einem hellen weißen Glanz, der bald so durchdringend wurde, daß seine Finger sich röteten, wo er das leuchtende Holz umfaßte. Er entfernte sich vom Boot, aber er schlug keine bestimmte Richtung ein. Hier gab es weder Norden noch Süden, weder Westen noch Osten, nur ein Näherkommen und ein Fortgehen.
    Das Licht, das er trug, kam Vetsch, der alles mit Bangen beobachtete, wie ein großer Stern vor, der sich langsam durch die Dunkelheit fortbewegte. Und die Dunkelheit um Ged verdichtete, verdüsterte und vermehrte sich. Auch Ged, der immer geradeaus vor sich hin blickte, nahm dies wahr. Und nach einer Weile sah er am äußersten Rande des Lichtkreises einen Schatten, der sich auf ihn zubewegte.
    Zuerst sah er formlos aus, aber als er näher kam, nahm er die Gestalt eines Mannes an. Alt schien er zu sein, grau und grimmig blickte er, aber als Ged seinen Vater, den Schmied, in der Gestalt zu erkennen glaubte, änderte sie sich und war nicht mehr alt, sondern jung. Es war Jasper, mit seinem kecken, hübschen Gesicht, der ihm, gehüllt in seinen grauen Umhang mit der Silberbrosche, hochmütig entgegenschritt. Haßerfüllt blickte er Ged über die zwischen ihnen liegende Dunkelheit hinweg an. Ged blieb nicht stehen. Er verlangsamte seine Schritte ein wenig und hob seinen Stab etwas höher. Dieser glänzte heller, und in seinem Licht änderte sich die Gestalt und nahm Peckvarrys Form an. Doch Peckvarrys Gesicht war aufgeschwemmt und weiß wie das Gesicht eines Ertrunkenen, und er streckte die Hand nach Ged aus, als wolle er ihn zu sich rufen. Ged ging unentwegt weiter, obwohl ihn nur noch wenige Schritte von dem Wesen vor ihm trennten. Jetzt änderte es sich völlig; es breitete sich aus und öffnete riesige dünne Flügel, es züngelte, schwoll an und schrumpfte wieder zusammen. Einen Augenblick lang sah Ged Skihors weißes Gesicht, dann ein Paar starre, umwölkte Augen und plötzlich ein grauenvolles Gesicht, das er nicht kannte, Mensch oder Ungeheuer, mit beweglichen Lippen und Augen wie tiefe Gruben, die in schwarze Leere mündeten.
    Als er dies sah, hob Ged seinen Stab in die Höhe, und sein Glanz wurde so stark, sein Licht leuchtete so hell und weiß, daß er die Dunkelheit selbst, die vor ihm stand, diese uralte, unergründliche Bosheit, in seinen Bann zwang und quälte. In diesem Licht verlor der Schatten
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