Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
rauschte und an ihren Bug schlug, als nur die riesige runde Fläche des Wassers sie umgab und den Rand des Himmels berührte, fragte Ged: »Welche Lande liegen vor uns?«
    »Südlich der Soderinsel liegt kein Land mehr. Südöstlich, ziemlich weit südöstlich liegt etwas, aber es ist wenig: Pelimer, Kornay, Gosk und Astowell, das man auch Letztland nennt. Und danach kommt nichts als Meer.«
    »Und südwestlich?«
    »Ralomey liegt dort, eine der Inseln des Ostbereiches; rundum gibt es ein paar kleinere Inseln, dann unterbricht nichts mehr die Wasserfläche bis zum Südbereich. Dort liegen Rut und Tum und die Insel, die man das Ohr nennt, wo Menschen nicht landen.«
    »Wir müssen vielleicht dort landen«, sagte Ged und blickte bedenklich drein.
    »Lieber nicht«, sagte Vetsch, »denn man glaubt, daß es dort nicht geheuer zugeht. Gebeine liegen in Massen umher, und böse Omen nehmen dort ihren Ursprung. Matrosen berichten, daß man von dem Ohr und von der Insel Weitsor aus Sterne erblickt, die man von keiner anderen Insel aus sieht und die keinen Namen tragen.«
    »Das habe ich auch gehört. Auf dem Schiff, das mich nach Rok brachte, gab es einen Seemann, der mir davon erzählte. Er berichtete von dem Floßvolk, das nur einmal im Jahr an Land geht, um große Stämme für seine Flöße zu fällen, und den Rest des Jahres auf Meeresströmungen dahintreibt, so weit entfernt von jeder Küste, daß es nie gesichtet wird. Ich würde mir diese Floßdörfer gern einmal anschauen.«
    »Ich nicht«, sagte Vetsch und lachte. »Ich bin für das Land und die Landratten! Der See gönne ich ihr Bett und mir das meine …«
    »Ich wollte, ich hätte alle Städte des Inselreiches sehen können«, sagte Ged, als er das Segeltau hielt und den Blick über die weite graue Öde schweifen ließ. »Havnor im Herzen der Welt, Éa, wo die Mythen herstammen, die Brunnenstadt Scheließ auf Weg, alle Städte und die großen Inseln hätte ich gern gesehen, ebenso die kleineren, die unbekannten in den Außenbereichen; zu den Dracheninseln, die weit im Westen liegen, wäre ich gern gefahren oder nach Norden bis nach Hogenland, wo es Eisbären gibt. Manche Leute behaupten, daß es dort oben ein Land gebe, das größer als das ganze Inselreich sei, und andere sagen, es gebe dort nur Riffe und Felsen mit Eis dazwischen. Keiner weiß etwas Genaues. Ich sähe auch gern die Walfische im Norden … Aber ich kann ja nicht. Ich muß dorthin, wohin es mich zieht, und ich muß mich den verlockenden Küsten fernhalten. Ich hatte es zu eilig in meinem Leben, und jetzt fehlt es mir an Zeit. Ich habe Sonnenlicht, Städte und ferne Lande gegen eine Handvoll Macht, gegen einen Schatten der Finsternis eingetauscht.« Er schwieg, aber wie es unter Magiern üblich ist, drückte er seine Furcht und sein Bedauern in einem Lied aus, einem kurzen Trauergesang, den er halb sang, halb sprach und der nicht nur für ihn allein bestimmt war. Sein Freund antwortete ihm mit den Worten des Helden aus den Taten von Erreth-Akbe: »Einmal nur möcht ich noch schauen der Erde leuchtende Feuer, die weißen Türme von Havnor …«
    So segelten sie dahin, immer geradeaus, über das weite, trostlose Wasser. Das einzig Lebendige, das sie an diesem Tage sahen, war eine Schule silbriger Fischchen, die nach Süden zog. Kein Delphin schnellte aus dem Wasser, keine Möwe, keine Seeschwalbe, kein Schwimmvogel unterbrachen das stetige Grau des Himmels. Als es im Osten dunkel wurde und der Himmel des Westens sich rot färbte, packte Vetsch das Essen aus und teilte es mit Ged. »Und nun das Bier. Trinken wir auf das Wohl derjenigen, die fürsorglich ein Fäßchen an Bord verstaut hat, für durstige Männer in kaltem Wetter: auf meine Schwester Jarro!«
    Als Ged das hörte, vergaß er einen Augenblick lang seine Sorgen und ließ die Augen kurz von der ständigen Suche übers Meer ausruhen. Er trank auf Jarros Wohl, vielleicht etwas ernsthafter als Vetsch. Er sah Jarro wieder vor sich, ihr natürliches Wesen, ihre kindliche Anmut. Sie war nicht so wie andere Mädchen – aber welche jungen Mädchen hatte er überhaupt schon gekannt? Doch daran dachte er nicht. »Sie ist wie ein kleiner Fisch, wie eine Elritze, die in einem klaren Bach herumschwimmt«, sagte er. »… aber man kann sie doch nicht fangen.«
    Bei diesen Worten blickte ihn Vetsch überrascht an und lächelte. »Du bist wirklich zur Magie geboren«, sagte er. »Ihr wahrer Name ist Kest.« In der Ursprache, wie Ged wohl wußte, war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher