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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
Autoren: Ursula K. LeGuin
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›Kest‹ der Name für eine Elritze, und dies tat ihm in der Seele wohl. Aber nach einer Weile sagte er leise: »Du hättest mir ihren Namen nicht nennen sollen.«
    Aber Vetsch, der dies nicht unüberlegt getan hatte, sagte nur: »Bei dir ist ihr Name so gut aufgehoben wie meiner. Und außerdem hast du ihn ja selbst erraten …«
    Das Rot des Westens wurde Asche, das Aschgraue des Ostens wurde schwarz. Meer und Himmel waren ganz dunkel. Ged streckte sich im Boot aus, in seinen Umhang aus Wolle und Pelz gehüllt. Vetsch hielt das Tau fest und sang leise das Enladlied, das von Morred dem Weißen erzählt, der Havnor in seinem ruderlosen Langschiff verlassen hatte und im Frühling auf der Insel Soléa Elfarran in den Gärten wandeln sah. Ged schlief ein, bevor Vetsch an die Stelle kam, die vom tragischen Ende ihrer Liebe erzählte, von Morreds Tod, dem Untergang von Enlad und den mächtigen, bitteren Wogen, die über den Gärten von Soléa zusammenschlugen. Gegen Mitternacht wachte er auf und löste Vetsch ab, damit dieser schlafen konnte. Das kleine Boot stürmte tapfer über das bewegte Wasser des Meeres, es floh vor dem heftigen Wind, der sich gegen die Segel lehnte, und raste blind durch die Nacht dahin. Die Bewölkung war stellenweise aufgelockert, die schmale Mondsichel schien zwischen braungeränderten Wolken und warf ein schwaches Licht über die See.
    »Der Mond nimmt ab, es wird dunkler«, murmelte Vetsch, der gegen Morgen erwachte, gerade als der kalte Wind eine Weile aussetzte. Ged blickte hinauf zu dem weißen Halbmond über dem bleichen Wasser im Osten, aber er schwieg. Der Neumond, der auf die Wintersonnenwende folgt, wird Brachmond genannt und ist Gegenpol zu den Mondtagen und dem Langtanz des Sommers. Die Zeit gilt als ungünstig für Reisen und birgt nichts Gutes für Kranke. Während des Brachmonds findet keine Namengebung statt, keine Lieder werden in dieser Zeit gesungen, Schwerter oder Schnittwerkzeuge werden nicht geschliffen, Eide werden nicht geleistet. Es ist die dunkle Mitte des Jahres, wo mit gutem Gelingen nicht zu rechnen ist. Drei Tage nachdem sie Soders verlassen hatten, erreichten sie, Seevögeln und Treibgut folgend, die kleine Insel Pelimer, die sich hoch über die Wellen des Meeres erhob. Die Einwohner dort sprachen Hardisch mit einem eigenen Zungenschlag, der selbst Vetsch fremd in den Ohren klang. Die jungen Männer gingen an Land, um frisches Wasser zu fassen und sich ein wenig von der endlosen Seefahrt zu erholen. Sie wurden zunächst freundlich aufgenommen, mit großem Erstaunen und viel Aufregung. In der Hauptstadt der Insel gab es einen Zauberer, aber der war verrückt. Er redete unaufhörlich von der Riesenschlange, die an Pelimer knabbere und bald erreichen werde, daß die Insel fortschwimme und ans Ende der Welt treibe, wo sie dann über den Rand in den Abgrund zu stürzen drohe. Zunächst empfing er die jungen Zauberer wohlwollend, aber als er von der Seeschlange zu reden anfing, schaute er Ged durchdringend an, und bald beschimpfte und beschuldigte er sie, daß sie Spione und Diener der Seeschlange seien. Die Pelimeraner warfen ihnen mißtrauische Blicke zu, denn trotz seiner Verrücktheit betrachteten sie ihren Zauberer mit Respekt. Ged und Vetsch blieben daher nicht lange, sondern brachen noch vor Anbruch der Dunkelheit auf und hielten sich weiterhin südöstlich.
    Während dieser Tage und Nächte, die sie abwechselnd segelnd verbrachten, sprach Ged weder vom Schatten noch von der vor ihm liegenden Aufgabe. Eine einzige Frage stellte ihn Vetsch diesbezüglich, als sie weiterhin den gleichen Kurs beibehielten und sich von allen bekannten Inseln der Erdsee entfernten: »Bist du sicher?« Worauf Ged schlicht antwortete: »Weiß das Eisen, wo der Magnet liegt?« Vetsch nickte und segelte weiter, ohne noch ein Wort darüber zu verlieren. Ab und zu sprachen sie von den verschiedenen Listen und Künsten, die von den Magiern vergangener Zeiten angewandt worden waren, um die verborgenen Namen unheilvoller Mächte und Wesen herauszufinden. Wie Nereger von Paln den Namen des Schwarzen Magiers herausfand, als er einer Unterhaltung zwischen Drachen lauschte, und wie Morred den Namen seines Feindes aus den Regentropfen herauslas, die in den Staub des Schlachtfeldes auf der Ebene von Enlad fielen. Sie sprachen über Bindeformeln, Invokationen und die Beantwortbaren Fragen, die nur von dem Meister der Formgebung gestellt werden dürfen. Aber oft wiederholte Ged leise die Worte, die
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