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Der Erbe der Nacht

Titel: Der Erbe der Nacht
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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während der Séance gesehen hatte, wurde wahr! Es war der erste Blitz, der das Fenster zertrümmerte und in das bizarre Gebilde in Priscillas Händen fuhr!
    Wieder ein ungeheuerlicher Donnerschlag, und eine halbe Sekunde später eine krachende Explosion, mit der der zweite Blitz die Eingangstür zermalmte, sich in einem schier unmöglichen Zickzack seinen Weg durch die Halle brannte und wie eine züngelnde Schlange aus Licht in den Salon fuhr. Card schrie hinter mir auf, prallte entsetzt zurück und starrte aus hervorquellenden Augen auf die lodernde Linie aus purer Energie, die sich durch die Halle wand, Hitze und Licht und ein fürchterliches elektrisches Zischen verbreitend.
    »Großer Gott, Simpson, was ist das?« brüllte er.
    Als ich antworten wollte, brannte sich der dritte Blitz eine flammengesäumte Bahn durch das Haus, durch Stein und Holz und Glas hindurch und kaum weiter als einen Yard von der Treppe entfernt. Ich verzichtete auf eine Antwort, rannte weiter
    und blieb so abrupt stehen, daß Card von hinten gegen mich prallte und mich um ein Haar zu Boden gerissen hätte.
    Vor mir stand der Wächter.
    Zum erstenmal sah ich die Kreatur so, wie sie wirklich war: Ein Gigant, fast anderthalbmal so groß wie ich und mit annähernd menschlichen Umrissen, die aber in beständiger Bewegung waren. Sein Körper schien aus keiner festen Substanz zu bestehen, sondern floß und wogte und waberte wie schwarzer Teer, der noch nicht ganz erstarrt war. Das einzige an ihm, was eine feste Form hatte, war das faustgroße, pupillenlose Auge in der Mitte seines gesichtslosen Schädels, das mich mit stummem Haß anstarrte.
    Und ich reagierte so schnell wie noch nie zuvor in meinem Leben. Blitzartig hob ich die Hand mit dem Sternstein H. P.s und holte zum Wurf aus. Und trotzdem war ich nicht schnell genug.
    Captain Jeremy Card überwand seine Überraschung einen Sekundenbruchteil vor mir. Mit einem Schrei riß er seine Waffe hoch, stieß mich aus dem Weg und drückte dreimal rasch hintereinander ab. Ich taumelte, prallte gegen das Treppengeländer und ließ den Sternstein fallen. Verzweifelt griff ich danach, aber er schlüpfte zwischen meinen Fingern hindurch, sprang noch einmal von einer Stufe ab und hüpfte wie ein kleiner grauer Gummiball in die Tiefe. Ich konnte hören, wie er irgendwo unten in der Halle aufschlug, nur wenige Yards entfernt und doch unerreichbar.
    Als ich aufsah, feuerte Card seine letzten drei Patronen ab.
    Die Schüsse zeitigten nicht die geringste Wirkung. Ich konnte sehen, wie die Stahlmantelgeschosse durch den Körper des Dämons fuhren wie durch weichen Lehm und in der Wand hinter ihm einschlugen, ohne ihm auch nur den allermindesten Schaden zuzufügen.
    Dafür begann in dem Zyklopenauge des Wächters ein unheimliches, pulsierendes Feuer zu erglühen.
    Und ich wußte nur zu gut, was das bedeutete!
    Verzweifelt schrie ich auf, warf mich rücksichtslos vor und packte Card bei den Fußknöcheln. Der harte Ruck brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er schrie und stürzte mit hilflos rudernden Armen zu Boden.
    Eine halbe Sekunde später fuhr ein gleißender Blitz aus dem Auge des Wächters und pflügte eine Spur aus Licht und Tod durch die Luft, genau dort, wo sich eben noch Cards Körper befunden hatte. Wo der Blitz einschlug, flammte die Treppe auf wie trockener Zunder. Das Ungeheuer brüllte enttäuscht auf und riß die Arme in die Luft.
    Ich wartete nicht, bis es seine fürchterliche Waffe zum zweiten Male einsetzen konnte. Ohne auch nur über das nachzudenken, was ich tat, zerrte ich Card in die Höhe, schloß die Augen
    und ließ mich einfach nach hinten fallen, ohne ihn loszulas-sen. Das Treppengeländer traf meinen Rücken wie ein Schwerthieb, aber es gab nach, und ich stürzte in die Tiefe und riß dabei Card mit mir.
    Wir überschlugen uns ein-, zweimal in der Luft, und dann prallten wir eng aneinandergeklammert auf den harten Stein-fliesen der Halle auf.
    Das Haus erzitterte unter dem achten oder neunten Blitz, der seine Wände durchschlug, als ich wieder auf die Füße sprang.
    Card schrie irgend etwas, das ich nicht verstand, und versuchte mich am Bein festzuhalten. Er versuchte aufzustehen, konnte es aber nicht; augenscheinlich hatte er den Sturz nicht ganz so unverletzt überstanden wie ich. Aber mir blieb keine Zeit, mich um ihn zu kümmern. Ich riß mich los, fuhr herum und warf mich mit einem gewaltigen Satz durch die Salontür.
    Es war ein Bild wie aus einem Alptraum; nein, schlimmer,
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