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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg.
Autoren: Heinrich Böll
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noch; von den Decken hingen Latten herunter. Er ging über einen Haufen Mau- erwerk weiter und schürfte am Ende des Flures am Fuße eines Schuttberges eine weiße, unbeschädigte Marmorstufe frei: eine Stufe war also noch da: offenbar die erste und letzte. Der Haufen Dreck, der sich über ihr türmte, brach zusammen, als er daran stieß. Er kratzte langsam die ganze Stufe frei und setzte sich. Es roch nach Sand und trockenem Dreck: nirgendwo war eine Brandspur zu sehen…
    Es war ein schönes, herrschaftliches Haus gewesen. Unten hat- te sogar ein Hausmeister gewohnt, er blickte nach rechts, wo die Tür des Hausmeisters gewesen war, und sah einen Berg von Mauerwerk, Tapetenfetzen und zerquetschten Möbelteilen, ir- gendwo sah der staubbedeckte Fuß eines Flügels heraus: dort schien auch die Flurdecke durchgebrochen zu sein. Er stand wieder auf und kratzte an einer bestimmten Stelle des Schuttber- ges, bis er die harte dunkelbraune Linkrustatapete unter seinen Fingern fühlte, ließ den Dreck von oben nachstürzen und an sich vorbeigleiten und hatte endlich das Schild frei, ein sauberes weißes emailliertes Schild mit den schwarzen Buchstaben: Schnepplehner, Hausmeister. Er nickte nur, ging langsam zurück und setzte sich wieder, zog das Zigarettenetui aus der Tasche,
    ließ es aufschnappen und zog eine Zigarette heraus, als ihm
    einfiel, daß er kein Feuer hatte. Er ging langsam zum Eingang
    zurück und wartete: draußen war niemand zu sehen, es war still und kühl, irgendwo krähte ein Hahn, und sehr weit entfernt, wo die Brücke über den Rhein sein mußte, hörte er schwere Wagen rollen, vielleicht Panzer…
    Früher hatte es hier zu jeder Zeit des Tages und bis spät in die Nacht hinein von Menschen gewimmelt. Jetzt sah er nur eine Ratte, die aus dem Trümmerhaufen nebenan kam, langsam und
    ruhig über die Schuttberge krabbelte und sich witternd zur Stra-
    ße vortastete; einmal rutschte sie an einer Marmorplatte ab, die quer und steil an ihrem Weg lag, sie quiekte auf, rappelte sich wieder hoch und kroch langsam weiter. Er verlor sie aus den Augen, als sie einen Teil der Straße überquerte, auf dem kein Schutt lag, und hörte sie dann in einem umgestürzten Straßen- bahnwagen rumoren, dessen blecherner Bauch wie gequollen und geplatzt zwischen zwei gestürzten Masten lag…
    Er hatte vergessen, daß er die Zigarette im Mund hielt und auf jemand wartete, der Feuer hatte…

    Damals, als das Haus noch stand, war nur eine Postkarte ge- kommen. Sie kam morgens, als er noch schlief, am ersten Tage seiner Ferien, und die Mutter hatte gedacht: wird nicht so wich- tig sein. Der Briefträger hatte ihr einen ganzen Packen überge- ben: die Zeitung, ein paar Prospekte, einen Brief, eine Pensions- abrechnung, und für irgendeines dieser Teile hatte sie eine Quit- tung unterschrieben. Im Halbdunkel des Flures war sowieso alles kaum zu erkennen, auch in der Diele war es dunkel, es kam nur indirektes Licht durch die große grünliche Verglasung ober- halb der Korridortür. Die Mutter hatte den Stapel flüchtig durch- gesehen und die Postkarte in der Diele auf den Tisch geschmis- sen, ehe sie in die Küche ging: eine normale bedruckte Postkar- te, die ihr vollkommen nebensächlich erschien…
    Er schlief lange an diesem Tage, es war der erste seines Le- bens, wenn man es Leben nennen konnte: bis dahin war alles Schule gewesen, Schule, Armut, Lehrlingszeit, Qual, und am Tage vorher hatte er endlich seine Gehilfenprüfung bestanden
    und Urlaub genommen…
    Morgens schon gegen halb neun war es schwül, es war Som- mer, Hochsommer, und die Mutter hatte die Läden vorgehängt, und als sie nun mit der Post in die Küche kam, drehte sie die Gasflamme groß, um das Wasser zum Kochen zu bringen. Der Tisch war schon gedeckt, alles sauber, ruhig und friedlich. Sie setzte sich auf die Bank und fing an, die Post durchzusehen. Draußen vom Hof her hörte sie das leichte Hämmern und das verdeckte Surren aus der Schreinerei, die im Keller des Anbaus eingerichtet war. Von vorn kam der stetige, fast ruhige Lärm des Straßenverkehrs.
    Die Prospekte waren von einer Weinhandlung, die ihnen manchmal Wein geliefert hatte, als der Vater noch lebte. Sie warf sie, ohne sie anzusehen, in die große Kiste unter dem Ofen,
    wo sie im Sommer Papierabfälle und Holzreste für den Winter
    sammelte Während sie die Pensionsabrechnung durchsah fiel ihr die Postkarte ein, die draußen auf dem Tisch lag, und sie dachte einen Augenblick daran, aufzustehen,
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