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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg.
Autoren: Heinrich Böll
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Stelle, wo das nackte häßliche Mauerwerk zu sehen war, dann zischte der Stummel in einer Pfütze aus. Er fühlte die kräftige Hand des Arztes seinen Arm fest umkrallen und die Stimme des anderen sagte heiser: »Warten Sie hier, ich habe zu tun.« Er zog ihn zur Seite, riß eine Tür auf, drückte Hans hinein und ging schnell davon.
    Er war in einer Umkleidekabine; im Dunkeln tastete er nach dem schmalen Sitzbrett, setzte sich und fühlte langsam die sanft- riechende Vertäfelung ab. Es schien alles unbeschädigt zu sein.
    Es war glatt und angenehm, dann hatte er plötzlich etwas sehr
    Seidiges zwischen den Fingern, ein Kleidungsstück. Er stand
    auf, packte oben nach dem Aufhänger und nahm es ab. Es schien
    ein weicher dünner Regenmantel zu sein, er fühlte große hörner- ne Knöpfe, einen lose hängenden Gürtel, dessen Schnalle ihm gegen die Beine schlug, und es roch nach Frau: nach Puder und Seife und dem leisen Hauch eines Lippenstifts. Er hielt den Mantel oben am Aufhänger fest, ließ ihn ganz herabfallen und tastete nach den Taschen: eine war leer, links tastete er durchs Futter in die Luft, in der rechten knisterte Papier, und als er tiefer packte, fand er etwas Flaches, Metallisches; er nahm es heraus und hing den Mantel im Dunkeln wieder an den Haken.
    Es war ein Zigarettenetui, er fand den Drücker und ließ es auf- springen; es waren noch Zigaretten drin; er zählte sie vorsichtig, indem er mit der Fingerspitze drüber fuhr: es waren fünf, er nahm zwei heraus, drückte das Etui wieder zu und steckte es in die Manteltasche zurück.
    Er war plötzlich sehr müde, die halbe Zigarette hatte ihn schläfrig gemacht. Er steckte die beiden Zigaretten oben in die Brusttasche zu dem Zettel, hockte sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an und streckte die Beine, so weit sie sich strecken ließen.
    Er wurde wach, weil ihm kühl war. Sein Nacken war steif, und es zog von den Beinen herauf. Der Spalt unter der Tür ließ die
    Luft eisig und geradlinig genau über sein Rückgrat in den Nak-
    ken ziehen. Er stand auf und öffnete die Tür: alles war dunkel – es roch immer noch säuerlich und feucht im Flur, und der Ge- stank von kaltem Rauch und nassem Dreck machte die Luft schwer. Er hustete. Er wußte nicht, wie spät es war, entsann sich nur, daß der Arzt versprochen hatte, wiederzukommen. Die Nonnen schienen weggegangen zu sein. Er fand die Tür ver- schlossen, ging in seine Kabine zurück und zog im Dunkeln den Frauenmantel an. Er paßte ihm gut, war nur in den Ärmeln etwas zu kurz. Er vergrub die Hände in den Taschen, fand ein Taschen- tuch in der rechten und verstopfte damit das Loch im Futter der linken. Das knisternde Papier drückte er nach unten. Er schloß die hölzerne Schnalle des Gürtels, warf die Kabinentür zu und tastete sich die Treppe hinauf.
    Auch oben war es still und dunkel, nur, wo man den Himmel
    sehen konnte, war das ruhige und etwas hellere Blau der Wol- ken. Der ganze linke Flügel des großen Hauses war von herun- terhängenden Betonplacken versperrt, durch Spalten sah er fin- stere zerstörte Räume, querragende Eisenträger und roch den nassen ekelhaften Schutt. Rechts ging er in einen offenen Flur hinein, und er hörte plötzlich Atmen: ein paar schwarze Türlö- cher waren offen, die Zimmer schienen belegt zu sein, es roch muffig nach Schweiß, Urin und Bettwärme, und über allem lag dieser schwere Geruch des nassen Dreckes, der den Rauch auf- gesogen zu haben schien; auch das Geräusch atmender und leise stöhnender Menschen war nun deutlich zu hören, und in einer Zimmerecke sah er das rötlich glühende Ende einer Zigarette.
    Links ging es um eine Ecke herum und nun sah er endlich Licht. Der Schimmer des Lichtes fiel auf eine große gelbliche Wand, deren Tapete von Flammen geschwärzt war; rechts sah er die Trümmer eines zerstörten Operationssaales: zerknallte Glas- kästen, herumliegende Geräte, ein Polsterbett, von Schutt halb verdeckt, und eine große weiße gläserne Lampe segelte lautlos und unversehrt drohend wie ein widerlich sauberes Rieseninsekt im Dunkeln hin und her: er blickte, als er näher trat, durch einen Spalt in den Saal: die große Lampe hing an einer sehr dünnen schwarzen Leitung, pendelte von der eigenen Schwere, und er sah, daß sie langsam tiefer sank; daß die große weiße widerlich saubere Glashaube immer tiefer ins Schwanken geriet, weil irgendwo an dem unsichtbaren Teil der unbeschädigten Decke die Haken, mit denen die Leitung
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