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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg.
Autoren: Heinrich Böll
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abzutrock-
    nen.
    »Wollen Sie nicht… vielleicht… die Verwaltung«, stammelte sie unruhig. »Ich glaube nicht. Wir haben nur noch fünfund- zwanzig Patienten, keine Frau Gompertz, nein. Ich glaube
    nicht.«
    »Aber sie muß hier gewesen sein.«
    Die Nonne nahm eine Uhr vom Tisch, eine kleine runde alt- modische silberne Armbanduhr ohne Armband. »Es ist jetzt zehn, ich muß Essen verteilen. Es wird oft spät«, fügte sie ent- schuldigend hinzu. »Wollen Sie ein wenig warten? Haben Sie Hunger?«
    »Ja«, sagte er.
    Sie blickte fragend auf die Salatschüssel, auf den Brotstapel, sah dann ihn an.
    »Brot«, sagte er.
    »Aber ich habe nichts für drauf«, sagte sie. Er lachte.
    »Wirklich«, sagte sie gekränkt, »wirklich nicht.«
    »Mein Gott«, sagte er, »Schwester, ich weiß, ich glaube, Brot, wenn Sie mir etwas Brot geben könnten –« Wieder lief ihm das Wasser flink und lau im Munde zusammen, er schluckte es her- unter und sagte noch einmal leise: »Brot.«
    Sie ging zum Regal, nahm ein Brot heraus, legte es auf den Tisch und fing an, in einer Schublade nach einem Messer zu suchen.
    »Schon gut«, sagte er, »man kann Brot brechen. Lassen Sie nur, danke.« Sie klemmte die Salatschüssel unter den Arm, nahm mit dem anderen die Bouillonkanne. Er trat ihr aus dem Weg und nahm das Brot vom Tisch.
    »Ich komme gleich wieder«, sagte sie in der Tür, »Gompertz, nicht wahr? Ich werde fragen.«
    »Danke, Schwester«, rief er ihr nach
    Er brach schnell eine große Kante von dem Brot ab. Sein Kinn zitterte und er spürte, daß die Muskeln seines Mundes und seine Kiefer zuckten. Dann grub er die Zähne in die unebene weiche
    Bruchstelle und aß. Das Brot war alt, sicher vier oder fünf Tage
    alt, vielleicht älter, einfaches Graubrot mit einer rötlichen Pap- pemarke von irgendeiner Fabrik; aber es schmeckte so süß. Er grub immer weiter mit seinen Zähnen, nahm auch die lederne bräunliche Kruste, packte dann den Laib in seine Hände und brach ein neues Stück ab. Während er mit der rechten Hand aß, hielt er mit der linken den Brotlaib fest, als könnte jemand kommen und ihn wegnehmen, und er sah seine Hand auf dem Brotlaib liegen, mager und schmutzig mit einer Kratzwunde, die mit Dreck und Schorf überzogen war.
    Er blickte sich flüchtig um. Das Zimmer war klein. Da waren an den Wänden weißlackierte Schränke, deren Türen fast alle herausgesogen waren: irgendwo quoll weiße Wäsche heraus und medizinische Instrumente lagen in der Ecke unter einem Leder- sofa; ein schäbiger schwarzer Herd stand am Fenster, und das Ofenrohr war durch eine zerbrochene Scheibe hinausgelenkt. Kleinholz lag zersplittert daneben und ein lose hingeworfener Haufen Briketts. Neben einem Wandschränkchen voll Medika- menten hing ein sehr großes schwarzes Kruzifix, und der Buchs- baumzweig dahinter war heruntergerutscht und hing nur noch lose zwischen dem Ende des Vertikalbalkens und der Wand.
    Er setzte sich auf eine Kiste und brach ein neues Stück Brot ab. Immer noch schmeckte es süß. Wenn er ein Stück abgebrochen hatte, biß er immer erst in die weiche Bruchstelle, dann spürte er rings um seinen Mund die angenehme sanfte trockene Berüh- rung des Brotes, während seine Zähne sich weiterbohrten. Es war so süß.
    Plötzlich fühlte er, daß er beobachtet wurde, und blickte auf: in der Tür stand eine sehr große Nonne mit einem weißen schmalen Gesicht, ihr Mund war blaß, die großen Augen kühl und traurig.
    Er sagte: »Guten Abend.« Sie nickte nur, kam herein, und er sah, daß sie ein großes schwarzes Buch unter dem Arm hatte. Sie ging erst auf die gelbe Altarkerze zu, die in dem eisernen Halter stand, zwischen Reagenzgläsern auf einem weißen Tisch, und schneuzte die Flamme mit einer gebogenen Mullschere. Das flackernde Licht wurde klein und hell, und in einen Teil des
    Zimmers fiel die Dunkelheit. Dann kam sie zu ihm und sagte
    leise und sehr ruhig: »Rücken Sie bitte ein wenig.« Sie setzte sich neben ihn auf die Kiste.
    Er roch den seifigen Geruch ihrer blauen steifen Kutte. Sie nahm aus einer Tasche ein schwarzes Brillenfutteral, öffnete es
    und schlug das Buch auf.
    »Gompertz, nicht wahr?« fragte sie leise.
    Er nickte und schluckte den letzten Bissen Brot hinunter.
    »Sie ist nicht mehr da«, sagte sie leise, »ich weiß. Sie ist vor ein paar Tagen entlassen worden, wir mußten Platz machen. Die Inneren mußten alle nach Hause. Aber ich will sehen…«
    »Sie kannten sie?« fragte er ruhig.
    »Ja«, sagte sie,
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