Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg.
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
und sie blickte vom Buch auf, sah ihn an und er empfand ihre kühlen und traurigen Augen als sehr liebevoll.
    »Sie sind doch nicht ihr Mann?« Sie wandte sich wieder ab und fing an, die großen dichtbeschriebenen Seiten umzublättern.
    »Sie hatte eine Magengeschichte, nicht wahr?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Mein Gott, ihr Mann war doch noch hier vor ein paar Tagen. Ein Feldwebel – wie Sie.« Sie warf einen Blick auf seine Schul- terklappen und hielt im Blättern inne, sie hatte die letzte Seite des Buches erreicht. »Waren Sie mit ihm zusammen?«
    »Ja.«
    »Er war noch bei ihr und saß auf ihrem Bett. Mein Gott«, sagte sie, »das kommt mir so lange vor, es kann aber erst vor ein paar Tagen gewesen sein. Was haben wir heute, den wievielten?«
    »Den achten«, sagte er, »den achten Mai.«
    »Wie lange mir das vorkommt!«
    Ihr langer blasser Finger fuhr jetzt auf der letzten Seite des Bu- ches langsam von unten nach oben. »Gompertz«, sagte sie, »Eli- sabeth, entlassen am 6. Vorgestern.«
    »Sagen Sie mir bitte die Adresse.«
    »Rubensstraße«, sagte sie, »Rubensstraße 8.« Sie stand auf, blickte ihn an und hielt das Buch zugeklappt unter dem Arm.
    »Was ist denn, was ist mit ihrem Mann?«
    »Er ist tot.«
    »Gefallen noch?«
    »Erschossen.«
    »Mein Gott«, sie stützte sich auf den Tisch, warf einen Blick auf den Brotrest und sagte leise: »Geben Sie acht, es sind viele Streifen in der Stadt. Man ist sehr streng.«
    »Danke«, sagte er heiser.
    Sie ging langsam zur Tür, wandte sich noch einmal um und fragte: »Sind Sie von hier, wissen Sie Bescheid?«
    »Ja«, sagte er.
    »Viel Glück«, rief sie zurück, und bevor sie sich abwandte, murmelte sie noch einmal »Mein Gott«.
    »Danke, Schwester«, rief er ihr nach, »vielen Dank.«
    Er brach ein neues Stück Brot ab und fing wieder an zu essen. Er aß jetzt sehr langsam, ganz ruhig, und es schmeckte immer noch süß. Die Flamme hatte wieder einen hohlen Rand in die Kerze gefressen, der Docht war länger geworden, das Licht gelber, weiter reichend. Im Flur waren jetzt Schritte zu hören, das sanfte Schlurfen der Nonne, die mit der Salatschüssel weg- gegangen war, und hinter ihr ein ungeduldiger Männerschritt.
    Die Nonne kam mit einem Arzt herein, stellte die leere Salat- schüssel unter den Tisch, die Kanne daneben und fing an, im Ofen zu stochern.
    »Mensch!« rief der Arzt, »der Krieg ist aus und verloren, zie- hen Sie die Klamotten aus, schmeißen Sie die Spielsachen weg.« Der Arzt war jung, etwa fünfunddreißig, er hatte ein breites
    rotes Gesicht mit seltsam knitterigen Falten, als wenn er im
    Schlaf falsch gelegen hätte. Hans roch, daß der Arzt rauchte, und er sah nun, daß er die qualmende Zigarette auf dem Rücken in der hohlen Hand hielt.
    »Schenken Sie mir eine Zigarette«, sagte er.
    »Oho«, rief der Arzt, aber er zog eine Schachtel aus seiner Kit- teltasche, Hans sah zwei und eine halbe Zigarette lose darin. Der Arzt gab ihm die halbe und sagte: »Mensch, passen Sie auf, daß keiner Sie schnappt.« Dann hielt er die glühende Zigarette an den Stummel und Hans sah seine gelben dicken Finger, die splissigen Nägel. »Danke«, sagte er, »danke sehr.«
    Der Arzt kramte irgendwo aus einer Schublade Ampullen her-
    aus, steckte Messer und Scheren in seine Kitteltasche und ver- ließ den Raum. Hans ging ihm nach. Die breite Gestalt bewegte sich im dunklen Flur schnell auf die Treppe zu. Er rief: »Mo- ment bitte.« Der Arzt blieb stehen, und einen Augenblick lang, während er sich umwandte, sah Hans sein stumpfes flachnasiges Profil. Dann stand er bei ihm und sagte: »Nur eine Minute.«
    Der Arzt schwieg.
    »Ich brauche Papiere«, sagte Hans.
    »Mensch!« rief der Arzt.
    »Gute Papiere«, sagte er, »irgendwo müssen hier doch Papiere sein, am besten von einem Toten. Versuchen Sie es.«
    »Sie sind verrückt.«
    »Keineswegs. Ich will nicht in Gefangenschaft. Ich wohne hier, habe allerlei zu tun – zu suchen. Helfen Sie mir.«
    Hans schwieg. Er konnte das Gesicht des Arztes nur undeut- lich sehen, aber er spürte in diesem feuchten säuerlichen Dunkel
    den heißen Atem des anderen nah, und in der Stille knisterte es
    wie von leise fallendem Dreck.
    »Haben Sie Geld?« fragte der Arzt endlich leise.
    »Noch nicht, aber bald, wenn ich… wenn ich zu Hause war.«
    »Diese Dinge kosten Geld.«
    »Ich weiß.«
    Der Arzt schwieg wieder, spuckte den Stummel aus, und Hans sah die Glut gegen die Wand prallen, die sprühenden Funken erleuchteten eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher