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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg.
Autoren: Heinrich Böll
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sie zu holen und in die Riste zu schmeißen: sie hatte eine Abneigung gegen bedruckte Postkarten – aber sie seufzte nur, denn sie hatte jetzt angefangen, die Abrechnung durchzusehen, eine komplizierte Aufstellung, von der sie nur die Endsumme begriff, ein rotgedrucktes Sümm- chen, und sie sah, daß es wieder kleiner geworden war…
    Sie stand auf, um den Kaffee aufzugießen, legte die Abrech- nung neben das dicke Zeitungspaket, goß sich die Tasse voll und öffnete mit dem Daumennagel den Brief. Der Brief war von ihrem Bruder Edi. Edi schrieb, daß er nun endlich nach langen, viel zu langen Assessorjahren Studienrat geworden war. Trotz- dem enthielt sein Brief wenig Erfreuliches. Seine Beförderung hatte er mit der Versetzung in ein gottverlassenes ›Drecknest‹ erkaufen müssen. Es kotzte ihn jetzt schon an, alles kotze ihn an, schrieb er, sie wisse ja warum. Sie wußte warum. Außerdem hätten die Kinder drei Krankheiten hintereinander gehabt, Keuchhusten, Pocken und Masern, Elli sei vollkommen erledigt, dazu der Umzugsrummel, Ärger über die Versetzung, es bedeu- tete nicht einmal eine nennenswerte finanzielle Verbesserung,
    weil er aus der besten nun in die schlechteste Ortsklasse ge-
    kommen war. Es kotze ihn alles an, sie wisse ja warum, und sie wußte warum.
    Sie legte auch diesen Brief beiseite, zögerte einen Augenblick, warf dann die Abrechnung in die Abfallkiste, und den Brief
    legte sie in die Schublade. Wieder fiel ihr für einen Augenblick
    die Postkarte ein, ganz flüchtig, aber sie hatte jetzt wieder Kaf- fee eingegossen, sich ein Brot gemacht und klappte das Zei- tungspaket auf. Sie las nur die Überschriften. Sie konnte dafür nicht soviel Interesse aufbringen wie die meisten Leute, die von Krieg sprachen und Rache. Seit Wochen las man schon nichts anderes auf der Titelseite als von diesem Geknalle, von Prüge- leien und von den Flüchtlingen, die die Sphäre polnischen Ha- ders verließen, um sich ins Reich zu retten…
    Auf der zweiten Seite war zu lesen, daß die Butterration ver- ringert werden und die Eierrationierung aufrechterhalten bleiben müßte. Sie verstand nichts davon, auch nicht von einem Artikel,
    den sie nur anfing und schnell überlas, worin begründet wurde,
    daß man unmöglich seine Freiheit für Kakao und Kaffee verkau- fen könne. Dann legte sie die Zeitung weg, trank die Tasse leer und machte sich bereit, einkaufen zu gehen.
    Durch die Läden flimmerte es hell und blendend, die Sonne stach schraffierte Muster an die Wand.
    Als sie in der Diele die kleine weiße Karte auf dem Tisch lie- gen sah, fiel ihr wieder ein, daß sie sie hatte in die Riste werfen
    wollen, aber nun hatte sie das Netz schon in der Hand, der
    Schlüssel stak schon im Schloß, und sie ging hinunter.

    Als sie zurückkam, schlief er immer noch, und die kleine wei- ße Postkarte lag noch da. Sie legte das Netz auf den Tisch und nahm das kleine Stück betippten Papiers in die Hand, und nun sah sie plötzlich trotz der Dunkelheit den seltsamen roten Flek- ken darauf, einen weißen Zettel mit einem roten Rechteck, und in dem roten Rechteck ein fettes schwarzes R wie eine Spinne. Ein unbestimmter Schrecken ergriff sie. Sie ließ die Karte fallen, die Sache kam ihr seltsam vor, sie hatte nicht gewußt, daß es
    auch eingeschriebene Postkarten gab, eine eingeschriebene Post-
    karte schien ihr etwas äußerst Verdächtiges, das Ding verursach- te ihr Angst. Sie raffte schnell ihr Netz zusammen und ging in die Küche. »Vielleicht«, dachte sie, »ist es eine Bestätigung von der Handelskammer oder irgendeiner Berufsorganisation, daß er die Prüfung bestanden hat, etwas Wichtiges, das eingeschrieben werden mußte.« Sie spürte keine Neugierde, nur Unruhe, setzte die Schüssel auf den Tisch und stieß die Läden auf, weil es plötzlich draußen dunkel wurde, und schon sah sie die ersten Tropfen auf den Hof fallen, dicke runde Tropfen, schwer und langsam fallend, fette Kleckse auf dem Asphalt. Die Schreiner standen in ihren blauen Schürzen auf dem Hof vor ihrer Werk- statt und deckten schnell Segeltuch über einen großen Fenster- rahmen. Dichter und heftiger fielen die Tropfen, prasselnd; sie hörte die Männer lachen, ehe sie hinter den staubigen Scheiben ihrer Kellerwerkstatt verschwanden.
    Sie nahm die Decke vom Tisch, holte das Küchenmesser aus der Schublade, rückte sich die Schüssel zurecht und fing mit zitternden Händen an, ihren Blumenkohl zu putzen. Das große fettgedruckte R in dem roten
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