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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg.
Autoren: Heinrich Böll
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weiter. Ich glaube, ich kann erst jetzt wirklich verantworten zu sagen, daß ich ihn fertig schreiben werde, es wird allerdings noch ein halbes Jahr dauern, obwohl ich mehr als die Hälfte des geplanten Umfangs ›da‹ habe.« Über den zu diesem Zeitpunkt tatsächlich erreichten Stand der Arbeit und den Fertigkeitsgrad der vorliegenden Materialien lassen sich keine Angaben machen, da Entwürfe und frühe Niederschriften nur bruchstückhaft über- liefert sind. In Angriff genommen hat Böll im Dezember eine
    ›Neuschrift‹ des vierten Kapitels, in das er schon zuvor erhebli- che Schaffenskraft investiert hat und das, wie er jetzt vormerkt,
    »einen großen Dialog über das Geld« enthalten soll.
    Eine Entwurfsniederschrift dieses vierten Kapitels, das in Bölls konzeptionellen Überlegungen zunächst eine zentrale Rolle spielt und das demnach wichtige Aufschlüsse über seine Gestal- tungsintention geben kann, hat sich im Nachlaß erhalten. Der erste Teil bietet ein Gespräch des alten Gompertz mit seinem Sohn über Elisabeth, die Ehefrau des vermißten zweiten Sohnes, die aufgrund »irgendwelcher Theorien«, »vielleicht religiösen Wahnsinns«, Geld und Wertgegenstände verschenke und gegen die man – notfalls juristisch – vorgehen müsse. Der zweite Teil enthält einen umfangreichen Dialog zwischen Gompertz und seiner Schwiegertochter über Geld und Armut. Elisabeth vertei- digt ihr karitatives Handeln und übt Kritik am Prinzip der Ak- kumulation durch die Reichen, insbesondere die alteingesesse- nen Familiensippen, die »große Friedhöfe des Geldes« seien, die
    »Totenkammern, in denen das Geld begraben bleibt«. Dabei nimmt sie eine Differenzierung vor zwischen ›verschwendetem‹ und ›investiertem‹ (»an die Kette« gelegtem) Geld – eine Diffe- renzierung, die vorausweist auf die in Ansichten eines Clowns getroffene Unterscheidung von ›konkretem‹ Geld und ›abstrak- tem‹, das, unantastbar, »in Tabernakeln als Ziffer existiert« (An- sichten, Kap. 15). Im Zusammenhang dieser Argumentation schildert Elisabeth die Konsequenzen der Armut, die Menschen zu »Aussätzigen« mache. Sie exemplifiziert dies am Schicksal ihres Vaters, eines Autors, dessen Werke zwar gelobt, aber nicht gekauft wurden, der hungern mußte und, obwohl er seinen Schriftstellerberuf aufgab, um auf andere Weise Geld zu verdie- nen, schließlich »vor Elend gestorben« sei. Diese Schilderungen korrespondieren signifikant, bis in einzelne sprachliche Wen- dungen und Bilder hinein, mit Bölls Bericht über die eigene Situation, den er am 23. Januar 1950 in einem Brief an Paul Schaaf gibt – zu einer Zeit, als seine Frau das dritte Kind erwar- tet und er dringend nach einem Broterwerb sucht:

    Wenn ich Ihnen meine Situation der letzten drei Monate schil- dern würde, ich glaube nicht, daß sie Ihnen glaubhaft erscheinen
    würde, aber es ist völlig unmöglich, daß es so weitergeht; meine
    Frau ist zu Ende, ich bin zu Ende – so weit, daß mir alle Romane und Kurzgeschichten gleichgültig erscheinen gegen eine einzige Träne meiner Frau: das ist es. Sie verstehen mich. Möglicher- weise würde es mir sehr nützlich sein, der Literatur für einige Jahre »Auf Wiedersehen« zu sagen, vielleicht für immer: es schmerzt mich weniger als man glauben wird. So wie es bisher war, konnte ich weder ›frei arbeiten‹ noch verdiente ich Geld genug, um die Schuhsohlen meiner Kinder zu bezahlen. Ich habe einfach etwas Unmögliches unternommen und muß gestehen, daß ich in eine Sackgasse geraten bin, aus der ich nun heraus- rennen kann – oder die zum Ghetto zuzumauern ich versuchen könnte. – Jeglicher Versuch, irgendwie zu einem ›Brotberuf‹ zu kommen, war unmöglich und eine Unterstützung annehmen von jener Öffentlichkeit, die meine Arbeiten ablehnt, das wäre ein Denk- und Handlungsfehler, der sich mit Recht rächen würde.

    Für die später getroffene Entscheidung, die zu diesem Zeit- punkt vorliegende Fassung des vierten Kapitels zu verwerfen, mag die dann doch empfundene Scheu vor der direkten Literari- sierung eigener Existenznöte mitbestimmend gewesen sein. Hinzu kam vermutlich die Einsicht, daß der mit theoretischen Überlegungen überfrachtete, überdies zur Verselbständigung tendierende Dialog die Weiterentwicklung der Erzählhandlung blockierte. Ersetzt wird das verworfene Kapitel durch das späte- re zehnte, in dem Dr. Fischer seine Schwägerin zu veranlassen sucht, nicht über das Erbe ihres verstorbenen
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