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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg.
Autoren: Heinrich Böll
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katholischen Sippe, der unsere Stadt so viel verdankt – denken wir an sie zurück: wie plötzlich traf sie der Ruf Gottes, der seinen unsichtbaren Boten zu ihr sandte –«
    Er schwieg einen Augenblick betroffen: ihm schien, als habe die makellose bläuliche Marmorwange sich bewegt wie in einem Lächeln, und der Pfarrer hob seinen ängstlichen Blick und such-
    te in der Versammlung von Regenschirmen die Stelle, wo die
    Seide am glättesten und kostbarsten zu sein schien… »Wie wur- de die Familie von dieser so plötzlichen Nachricht ihres Todes überrascht« – seine Augen wanderten an den Regenschirmen vorbei bis an jene Stelle, wo eine kleine Schar schutzlos ihre Köpfe dem Regen hinhielt – »wie mögen die Armen sie betrau- ern, die in ihr eine treue und wissende Helferin verlieren; ver- gessen wir nicht, für sie zu beten, wir alle, ja, wir alle, die wir jeden Augenblick überrascht werden können von jenem unsicht- baren Boten, den Gott uns sendet. Amen.«
    »Amen«, rief er noch einmal in das marmorne Ohr des Engels hinein.
    »Amen«, sagte die Menge, und ein dunkles Gemurmel kam als Echo aus dem Inneren des kleinen Tempels zurück.
    »Stellen wir uns hierhin«, sagte Fischer, »hier ist es trocken.«
    Er half dem Schwiegervater und überließ ihm den flachen Platz auf dem Hintern des Engels, während er selbst sich auf dessen Rücken stellte. Sie nahmen die Hüte ab, als der Pfarrer drinnen die Zeremonie begann.
    Langsam versank der Marmorengel; seine runde Wange wurde in den weichen Boden gedrückt, und sein makelloses Ohr wurde allmählich von feuchtem Dreck verschluckt…
    »Ich hab es«, sagte Fischer, »hier.«
    Gompertz nahm den kleinen Zettel entgegen und las ihn durch. Sein trauriges Gesicht zuckte, und er murmelte leise: »Der letzte
    Gruß meines Sohnes, ein Dokument seines Hasses, den ich nie
    verstanden habe.«
    »Glaubst du denn, daß es echt ist?«
    »Ich habe nie daran gezweifelt.« Er zerriß den Zettel langsam und schob die Fetzen vorsichtig in die Öffnung seines Hand- schuhs…
    Drinnen antwortete der Küster den lateinischen Gebeten des Pfarrers, und sie sahen, daß der Pfarrer einen Augenblick ver- wirrt war, weil er nicht wußte, wohin er die Schaufel Dreck werfen sollte: er schleuderte sie schließlich gegen den Sarg, und die Lehmbrocken verteilten sich über die Marmorfliesen…
    Der Engel schwieg; er ließ sich vom Gewicht der beiden Män- ner nach unten drücken; seine prachtvollen Locken wurden von gurgelndem Dreck umschlössen, und seine Armstümpfe schie-
    nen immer tiefer hinein in die Erde zu greifen.
    Überlieferung · Textgestalt

    Aufbewahrungsort der Niederschrift des Romans ist das Histo- rische Archiv der Stadt Köln. Das Typoskript umfaßt 116 fort- laufend paginierte Blätter mit der Kapitelzählung I-XVIII; au- ßerdem 3 Blätter, paginiert 1-3, mit der Kapitelzählung XVIIa. – Bei den separat gezählten Blättern handelt es sich um eine Er- gänzung, die Böll am 10. April 1951 an den Verlag gesandt hat. Eine fünf Wochen vorher eingereichte erste Texterweiterung, der einführende Abschnitt von Kapitel I, ist im Manuskriptnach- laß nicht überliefert. Als Textgrundlage für diese kleine Erzähl- partie ist ersatzweise ein Abdruck in der ›Frankfurter Allgemei- nen Zeitung‹ vom 17. August 1951 (Überschrift: Skizze) heran- gezogen worden. Diese Entscheidung wurde – trotz editionsphi- lologischer Bedenken – getroffen, weil die beiden 1951 nachge- reichten Ergänzungsmanuskripte inhaltlich verzahnt sind und weil darüber hinaus dem zuletzt bekundeten Willen des Autors, auch hinsichtlich der Kapitelfolge, entsprochen werden sollte (s. hierzu die Hinweise im Nachwort).
    Die Typoskripte weisen zahlreiche Verschreibungen und son- stige Flüchtigkeiten auf, auch einige inhaltliche Unstimmigkei- ten (etwa bei der Darstellung des Zeitablaufs), die sich teilweise aus der Diskontinuität der Arbeit erklären. Als er das Manuskript im August 1950 an den Verlag gab, bat Böll, »einige äußere Schönheitsfehler zu verzeihen« – er sei, nachdem er »die Arbeit dreimal getippt« habe, nicht mehr fähig gewesen, »die vierte und letzte Reinschrift« fertigzubringen; und im April 1951, nach Ablieferung der zweiten Erweiterung, schlug er vor, ihn die Beseitigung kleinerer Unzulänglichkeiten »während der Korrek- tur vornehmen zu lassen«. Die Möglichkeit, letztmals Hand an den Text zu legen, blieb ihm jedoch verwehrt, da eine Druckle- gung nicht erfolgte. In der
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