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Der Engel mit den Eisaugen

Der Engel mit den Eisaugen

Titel: Der Engel mit den Eisaugen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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sie sich wohl zu einer Art eiserner Solidarität verpflichtet, weshalb niemand es wagte, einen Kollegen in Schwierigkeiten zu bringen und beispielsweise seinen Antrag abzulehnen.
    Die Lokaljournalisten unterstützten Mignini nach Kräften, und wenn es doch einmal passierte, dass einer von ihnen Kritik oder einfach nur Zweifel äußerte, warf ihm der unerschütterliche Staatsanwalt sogleich Behinderung der Justiz vor und forderte ihn auf, sich einen Anwalt zu nehmen. Eine Angelegenheit, die für den Betroffenen schon allein in finanzieller Hinsicht kostspielig geworden wäre.
    Mignini ist groß und korpulent, er entstammt einer der reichsten Familien der Stadt, ist sehr katholisch und trägt gerne sportliche und dennoch elegante Sakkos. Mit der obligatorischen Pfeife im Mund wirkt er wie ein
gentleman farmer,
ein Großgrundbesitzer aus vergangenen Zeiten. Seine grauen, gekräuselten Haare lassen die Stirn zur Gänze frei, die Augen sind hell, und das Lächeln wirkt höflich. Seine Ermittlungen hatten ihn in Perugia zu einem bekannten Mann gemacht. Zufrieden mit seiner neuen Popularität, war er langen, ausgiebigen Spaziergängen nicht abgeneigt – Spaziergängen auf dem Corso Vannucci, wo sich die ganze Stadt trifft, benannt nach dem berühmtesten Renaissancemaler Perugias, der auf der Collina del Sole geboren wurde.
    Der Vater dreier Töchter (die jüngste ist erst vor wenigen Jahren zur Welt gekommen) galt allgemein als besonders religiös. Es hieß sogar, seine Religiosität grenze an Fanatismus, sei durchtränkt von einem nicht nur vorkonziliaren, sondern geradezu mittelalterlichen Katholizismus. Er gehöre, so sagte man, einem mächtigen katholischen Geheimbund an (vielleicht Opus Dei, vielleicht aber auch einer anderen, unbekannten Organisation) und genieße den Schutz einflussreicher Persönlichkeiten, die nicht genannt werden dürften. Zugleich wurde etwas Ähnliches und dennoch diametral Entgegengesetztes, etwas völlig Widersprüchliches von ihm behauptet, etwas, das die Leute aus Perugia wichtigen Persönlichkeiten ihrer Stadt gerne nachsagen – nämlich, dass sie einer der zahlreichen Freimaurerlogen angehörten, die sich über den Colle del Sole verteilen.
    In der speziellen Weltsicht von Mignini, so fügte man noch hinzu, sei die Arbeit als Chefankläger nicht so sehr ein Dienst am Staat als vielmehr eine Mission gegen das Böse, das sich vor allem im Sex manifestiere. Natürlich schien das alles nur Gerede, das jeglicher Grundlage entbehrte: »Enthüllungen«, die einem, wie es in der Provinz oft der Fall ist, fast schon hinter vorgehaltener Hand zugeraunt werden; Geheimnisse, von denen man angeblich erfahren hat, um die anderen glauben zu machen, man kenne wichtige Leute.
    Doch Mignini hat im Internet zwei Spuren hinterlassen, die alle Verdachtsmomente bestätigen. Sein Name taucht auf zwei katholischen Internetseiten auf, eine davon fundamentalistisch und eine andere – wie die Verantwortlichen selbst eingeräumt haben – »reaktionär«. Letztere geht sogar so weit, sich den Kirchenstaat zurückzuwünschen, wie er vor der Einigung Italiens, die »ein Werk des Teufels« sei, existiert habe – samt der Restauration des österreichisch-ungarischen Reichs und der Wiederherstellung der vorrevolutionären Zustände in Frankreich.
    Der Name von Staatsanwalt Mignini tauchte am 8 . Oktober 2012 auf der Seite der ultra-fundamentalistischen Vereinigung Associazione Legittimista Trono e Altare auf, als deren Mitglieder den hundertsten Todestag von Carlos María de Borbón begingen, den sie als den legitimen König von Spanien ansahen. »Sehr zahlreich die Teilnahme unserer Freunde«, heißt es auf der Seite, »unter ihnen und vielen anderen – die es entschuldigen mögen, wenn wir ihre Namen nicht nennen – auch der bedeutende Minister aus Perugia, Giuliano Mignini.« Hier wurde offensichtlich »pubblico ministero« (Staatsanwalt) mit »ministro« (Minister) verwechselt.
    Da der Chefankläger hinter dem Mord an Meredith Kercher satanische Motive vermutet, die mit Halloween in Verbindung stehen, ist die Lektüre eines Artikels auf der Seite der Associazione Legittimista Trono e Altare besonders interessant. Der Autor, Priester Don Marcello Stanzione, rät allen jungen Leuten, »in keiner Form an Halloween teilzunehmen, damit die Offensive des Teufels abgewehrt werden kann, dessen Schlachtrösser die Esoterik und der Okkultismus sind. Halloween ist geeignet, labile Menschen mit Hang zum magischen
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