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Der Engel mit den Eisaugen

Der Engel mit den Eisaugen

Titel: Der Engel mit den Eisaugen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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sind, und das ist auch deutlich sichtbar: Wenn die Dämmerung einsetzt, strömen junge Leute, die alle möglichen Sprachen sprechen, auf die wunderschöne Piazza  IV Novembre mit dem phantastischen Brunnen, der Fontana Maggiore. Sie setzen sich auf die sogenannten
scallele,
die zierlichen Stufen des Brunnens oder des Doms, gehen spazieren oder begeben sich in die kleinen Lokale entlang der engen Straßen, die aus den mittelalterlichen Mauern zum Palazzo Gallenga Stuart, dem Sitz der Università per Stranieri, hinabführen.
    Die Einwohner Perugias hingegen bleiben lieber oben innerhalb ihrer Mauern, und zur Abenddämmerung beginnt der
struscio,
ein rituelles Flanieren, wie es überall in der italienischen Provinz zum Stadtbild gehört. Zwischen der Piazza IV Novembre und dem Corso Vannucci, eingerahmt von modischen Geschäften und eleganten Cafés, schreiten sie auf und ab wie auf einer langen Bühne, wo man jeden Abend Markenkleidung, einflussreiche Freunde, Vorzeige-Frauen, Geld und alles, was sonst noch damit zu tun hat, zur Schau stellen kann.
    Ein Theater, das nur für die Leute aus Perugia aufgeführt wird.
    Wenn man den Corso Vannucci einmal hinter sich hat, erreicht man den Belvedere naturale, einen grünen Aussichtspunkt, der sich auf der gegenüberliegenden Seite der Università per Stranieri und neben dem Palazzo della Provincia befindet. Von hier aus geht es zu Fuß eine kleine Straße hinunter, streckenweise auch ein paar Stufen, die sich Via Circo nennt. Sie führt gut zehn Meter weiter hinunter auf die Piazza Partigiani, eigentlich eher eine breite Straße. Auf der Schmalseite des Platzes aus weißem Travertin befindet sich ein fünfstöckiges Gebäude, dem man die Zeit des Faschismus noch ansieht, und genau dieses Gebäude ist der Sitz der Staatsanwaltschaft. Hier, im Eckbüro im dritten Stock, arbeitet der stellvertretende Staatsanwalt Giuliano Mignini.
    Am Morgen des 3 . November 2007 hielt er sich in diesem Zimmer auf, doch er fühlte sich alles andere als entspannt. Und das lag nicht unbedingt daran, dass der Fall der jungen Engländerin, die man am Morgen zuvor erstochen in ihrer Wohnung aufgefunden hatte, ausgerechnet ihm zugeteilt worden war. Vielmehr fühlte er sich seit zwei Wochen bedrängt, ohne jedoch sagen zu können, woher die Gefahr drohte. Ganz im Gegensatz zur Carlizzi, die in wenigen Minuten bei der Staatsanwaltschaft eintreffen sollte, galt seine Sorge nicht so sehr seiner körperlichen Unversehrtheit als vielmehr seinen Ermittlungen im Fall des Monsters.
    Gerade mal fünfzehn Tage zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Florenz Ermittlungen eingeleitet, in deren Mittelpunkt er und sein Vertrauensmann, Polizeikommissar Michele Giuttari, standen. Giuliano Mignini wurde des Amtsmissbrauchs angeklagt und der Begünstigung des Polizeibeamten, der seine Stellung ausgenutzt haben soll, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen.
    Außerdem hatte der Staatsanwalt ohne die erforderliche Genehmigung die Handys aller Journalisten abhören lassen, die sich mit mir in Verbindung gesetzt hatten. Allerdings war es eine peinliche Panne, den Berichterstatter der Turiner
La Stampa,
Vincenzo Tessandori, zu verhören, weil er mich interviewt hatte, war das Interview zu diesem Zeitpunkt doch noch gar nicht veröffentlicht worden.
    Auch der Verlauf des Florentiner Prozesses gegen den Apotheker Francesco Calamandrei bereitete Mignini Sorgen. Der Apotheker wurde beschuldigt, einer der Hintermänner des Monsters von Florenz zu sein, wobei sich diese Anklage auf die Theorien von Mignini und der Carlizzi stützte. Doch laut den Zeitungsberichten hatte ein Chefankläger sämtliche dem Gericht vorgelegte Beweise als »Makulatur« bezeichnet.
    Die Ermittlungen von Mignini und Giuttari hatten nach Ansicht der florentinischen Staatsanwälte jede Grenze überschritten.
    Am Morgen des 3 . November 2007 hatte sich der Staatsanwalt in seinem Büro verbarrikadiert und sann über eine Strategie nach, um die nächsten Angriffe abzuwehren und zum Gegenangriff überzugehen.
    Unterdessen hielt der beigefarbene Mercedes vor dem Eingang der Staatsanwaltschaft. Eine blonde, hinkende Frau stieg aus und betrat das Gebäude aus weißem Travertinstein. Mühsam stieg sie die kurze Treppe hinauf und umging mit taktischem Geschick den Metalldetektor, den normalerweise alle zur Kontrolle passieren mussten. Sie erwiderte den Gruß der Wachleute, als wäre sie hier zu Hause, und stieg in den Aufzug.
    Zielsicher drückte sie den Knopf,
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