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Der Engel mit den Eisaugen

Der Engel mit den Eisaugen

Titel: Der Engel mit den Eisaugen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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ihnen), selbst wenn keinerlei Beweise vorlagen. In einer Stadt, in der fast jeder jeden kennt, gefiel es den Provinzlern, zuzuschauen, wie man unerreichbare Personen in den Medien massakrierte.
    Am Ende erreichten die Ermittlungen dieselbe Quote wie eine sehr erfolgreiche Fernsehserie, in der es von Vampiren, Geistern und unsagbaren Mysterien nur so wimmelte.
    Und Perugia schien der perfekte Schauplatz für diese Art Story.
    Die Jahrtausende haben auf dem Colle del Sole einiges aufgeschichtet: riesige, dunkle, von den Etruskern behauene Steinmassen, Blöcke aus weißem Travertin, aus denen die Bögen und Tore der römischen Mauern gefertigt sind. Dazu kamen gewöhnlicher Stein, Marmor, ockerfarbene Backsteine und rote Ziegel für mittelalterliche Gebäude und enge, dunkle Straßen wie die Via delle Streghe oder die Via Scura. Auch ein kleiner Platz, der sich ganz plötzlich auftut und auf den Namen del Drago getauft wurde, ist mit den charakteristischen Ziegeln gepflastert, ebenso ein anderer mit einem wunderschönen Renaissance-Brunnen in der Mitte. Schlichte, streng anmutende Gebäude wurden daraus errichtet, so etwa der Palazzo dell’Inquisizione und der Palazzo del Capitano del Popolo, wo eine sehr grausame Justiz ihre Urteile vollstreckte, und zwar häufig im Namen des Herrn, denn Perugia war schon immer Teil des Kirchenstaats. Als man im Jahr 1540 den Versuch unternahm, sich gegen die römische Macht aufzulehnen, exkommunizierte Papst Paul  III. , ein Spross der mächtigen Familie Farnese, kurzerhand die ganze Stadt und ließ sie militärisch besetzen. Von mehr als einhundert Wohngebäuden, Häusern, Kirchen, Straßen und Plätzen, die der Familie Baldoni gehörten, den Anführern der Revolte, sollten die Dächer abgerissen und die Häuser mit einer Ziegelschicht zugemauert werden, um als Fundament für die Errichtung der Festung Rocca Paolina zu dienen.
    Fünfzehn Meter darunter ist auf einer Länge von über einem Kilometer noch immer der Geist einer unterirdischen, verlassenen Stadt mit Straßen, Fenstern, Geschäften, Terrassen und Portalen spürbar, die man jahrhundertelang nur mit Fackellicht begehen konnte und die erst seit einigen Jahren richtiggehend beleuchtet wird. Sicher, die Burg stellt eine finstere touristische Kuriosität dar, aber sie ist vor allem auch das unfreiwillige Symbol der Unterdrückung durch eine blinde, religiöse Macht. Ein plastisches Bild für eine Stadt, die eine obskure, geheime, dunkle Seite besitzt.
    Abgesehen davon gilt Perugia in Italien als Sitz vieler Freimaurerlogen und ritueller Veranstaltungen, die manchmal auch miteinander konkurrieren. Aus diesem Grund glauben viele, Machtausübung gestalte sich in dieser Stadt anders, als es bei Tage besehen vielleicht den Anschein hat: dass Macht nämlich in Wirklichkeit das Ergebnis mysteriöser Komplotte sei.
    Andererseits besitzt die umbrische Stadt landesweit die höchste Todesrate beim Konsum harter Drogen, vor allem von Kokain – ein trauriger italienischer Rekord, gegenläufig zu allen anderen Städten, einschließlich Metropolen wie Rom oder Mailand.
    Während eine große Zahl junger Leute Perugia auf der Suche nach mehr Anregung verlässt, kommen viele andere aus allen Teilen der Welt hierher. Die Universität von Perugia, 1308 gegründet, ist eine der ältesten, und im Jahr 1925 »erfand« die Stadt noch dazu die erste Universität für Ausländer, die für einen Großteil des Jahres fast achttausend junge Leute aus etwa hundertdreißig Ländern innerhalb ihrer Mauern vereint.
    Dann gibt es noch eine Menge Einwanderer. Viele kommen aus Nordafrika – aus Tunesien, Marokko, Algerien –, und viele von ihnen sind jung. Sie verrichten einfache Arbeiten, die die Italiener verschmähen, und nicht wenige von ihnen dealen mit Drogen, vor allem mit Kokain.
    »Nein, ich verkaufe nichts an die jungen Studenten aus der Uni, die ›rauchen‹ nur und fertig. Die richtig harten Drogen konsumieren die Leute aus Perugia, und zwar alle. Der Anwalt und seine Sekretärin, der Apotheker und sein Sohn, der Fischverkäufer und seine Kundin, der Klempner und seine Mutter. Hier arbeitet es sich gut. Ich verticke bis zu sechzig Kilo ›Stoff‹ im Monat.« So hat es mir Kamel erzählt, ein junger tunesischer
Pusher,
nachdem mich Staatsanwalt Giuliano Mignini in den Carcere di Capanne, ein Gefängnis bei Perugia, geworfen hatte.
    Die Einwohner der Stadt und die ausländischen Studenten bilden zwei Gruppen, die strikt voneinander getrennt
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