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Der Elefant verschwindet

Titel: Der Elefant verschwindet
Autoren: Haruki Murakami
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nachdenken.«
    »Wirklich? Na, mach, wie du denkst. Was ist heute übrigens für ein Tag?«
    »Dienstag«, sagte ich nach kurzer Überlegung.
    »Könntest du zur Bank gehen und die Gas- und Telefonrechnung bezahlen?«
    »Kein Problem. Ich wollte sowieso gleich los und fürs Abendessen einkaufen, ich gehe dann anschließend bei der Bank vorbei.«
    »Was gibt es heute zu Abend?«
    »Weiß ich noch nicht«, sagte ich, »habe ich noch nicht entschieden. Ich überlege es mir beim Einkaufen.«
    »Übrigens«, sagte meine Frau in einem veränderten Tonfall. »Weißt du, ich denke gerade, du musst ja vielleicht nicht unbedingt eine Arbeit suchen.«
    »Wieso das denn?«, fragte ich aufs Neue überrascht. Es scheint, als riefen alle Frauen der Welt allein aus dem Grund an, mich zu überraschen. »Warum sollte ich denn nicht nach einer Arbeit suchen? Noch drei Monate und meine Arbeitslosenversicherung ist zu Ende. Ich kann doch nicht die Beine baumeln lassen.«
    »Ich habe eine Gehaltserhöhung bekommen, mein Nebenjob läuft gut, und außerdem haben wir ja noch was gespart. Wenn wir nicht prassen, können wir doch gut davon leben, oder?«
    »Und ich soll dann also die Hausarbeit machen?«
    »Magst du das nicht?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich ganz ehrlich. Ich weiß es wirklich nicht. »Ich werde darüber nachdenken.«
    »Ja, denk drüber nach«, sagte sie. »Was ich dich noch fragen wollte, ist die Katze eigentlich zurück?«
    »Die Katze?«, fragte ich. Auf einmal merkte ich, dass ich die Katze seit heute früh vollkommen vergessen hatte. »Nein, sie ist noch nicht wieder nach Hause gekommen.«
    »Kannst du nicht ein bisschen in der Nachbarschaft nach ihr suchen? Sie ist schon seit vier Tagen weg.«
    Ich gab eine vage Antwort und nahm den Hörer wieder in die linke Hand.
    »Ich könnte mir vorstellen, dass sie vielleicht im Garten des leerstehenden Hauses hinten in dem Gässchen ist. Der Garten mit dem steinernen Vogel, weißt du? Ich habe sie dort schon ein paar Mal gesehen. Weißt du, wo ich meine?«
    »Nein«, sagte ich. »Aber seit wann treibst du dich denn allein in dem ›Gässchen‹ rum? Du hast mir noch nie davon …«
    »Du, tut mir leid, aber ich muss jetzt aufhören. Ich muss langsam wieder an die Arbeit. Bitte kümmere dich um die Katze.«
    Dann legte sie auf.
    Ich betrachtete wieder einen Moment lang den Telefonhörer, bevor ich ihn auf die Gabel zurücklegte. Warum kannte sich meine Frau so gut in dem »Gässchen« aus, fragte ich mich. Um dorthin zu gelangen, musste man von unserem Garten aus über eine ziemlich hohe Ziegelmauer steigen, und ich verstand nicht, warum man ohne Grund diese Anstrengung auf sich nehmen sollte.
    Ich ging in die Küche, trank etwas Wasser, schaltete das Radio ein und schnitt mir die Fingernägel. Im Radio lief eine Sondersendung zu der neuen LP von Robert Plant, aber nach zwei Stücken taten mir bereits die Ohren weh, und ich schaltete wieder aus. Ich ging auf die Veranda und untersuchte den Katzenteller, aber die getrockneten Sardinen lagen unberührt da, so wie ich sie am Vorabend hingelegt hatte, nicht eine fehlte. Die Katze war also nicht zurückgekommen.
    Ich stand auf der Veranda und blickte in unseren kleinen Garten, in den hell die Frühsommersonne schien. Es ist kein Garten, der seinen Betrachter ruhig stimmt. Die Sonne gelangt nur für einen kurzen Moment am Tag herein, deshalb ist der Boden dunkel und feucht. In einer Ecke stehen zwei, drei unscheinbare Hortensien. Aber Hortensien gehören ehrlich gesagt nicht zu meinen Lieblingsblumen.
    Von einer nahen Baumgruppe her ertönte das regelmäßige Quietschen eines Vogels, es klang, als würde er eine Feder aufziehen. Wir hatten den Vogel »Aufziehvogel« getauft. Meine Frau hatte ihm diesen Namen gegeben. Seinen richtigen Namen kannte ich nicht, und ich hatte auch keine Ahnung, wie er ausssah. Nichtsdestoweniger saß dieser Aufziehvogel jeden Tag in der benachbarten Baumgruppe und zog die Federn unserer ruhigen Welt auf.
    Warum muss ich eigentlich nach dieser verdammten Katze suchen, fragte ich mich, das Quietschen des Aufziehvogels im Ohr. Und selbst wenn ich die Katze fände, was sollte ich dann mit ihr machen? Sollte ich sie dazu überreden, nach Hause zu kommen? Sollte ich sie etwa bitten: Hör mal, alle machen sich solche Sorgen um dich, kannst du nicht bitte wieder nach Hause kommen?
    Großartig, dachte ich. Einfach großartig . Warum soll denn eine Katze nicht hingehen, wohin sie will, und leben, wie sie will? Und
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