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Der Elefant verschwindet

Titel: Der Elefant verschwindet
Autoren: Haruki Murakami
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Grundstück ein neues Haus nach dem anderen entstand, war auch dieser Weg bis auf einen schmalen Streifen eingeengt worden. Und da die Anwohner es nicht schätzten, wenn Leute unter den Vordächern ihrer Häuser entlang oder durch ihre Hintergärten liefen, wurden die Durchgänge zum Pfad in aller Stille geschlossen. Zuerst versperrte man sie nur mit einem einfachen Zaun, als aber einer der Anwohner seinen Garten erweiterte und den einen Eingang mit einer Ziegelmauer vollständig abriegelte, versah man dementsprechend auch den anderen mit einem festen Stacheldrahtzaun, um die Hunde fernzuhalten. Die Anwohner hatten den Weg sowieso nur selten als Durchgang benutzt, sodass sich niemand über die Schließung der beiden Eingänge beschwerte, und außerdem war es zur Verbrechensverhütung von Vorteil. Und so war dieser Weg inzwischen, einem aufgegebenen Kanal gleich, verlassen und unbenutzt – lediglich eine Art Pufferzone zwischen den einzelnen Grundstücken. Auf dem Boden wucherte Unkraut und überall woben Spinnen ihre klebrigen Netze und warteten auf Insekten.
    Ich begriff nicht, warum meine Frau an einem solchen Ort ein- und ausging. Ich selbst hatte das »Gässchen« bisher erst ein einziges Mal betreten. Und sie ekelte sich noch dazu vor Spinnen.
    Als ich darüber nachdenken wollte, füllte sich mein Kopf mit einer gasartigen Substanz, bis er fast zu platzen schien. Ich spürte einen dumpfen Schmerz in meinen Schläfen. Ich hatte die letzte Nacht nicht gut geschlafen, und auch das für Anfang Mai viel zu heiße Wetter und diese seltsamen Telefonanrufe waren schuld daran.
    Egal, dachte ich. Ich mache mich jetzt auf die Suche nach der Katze. Über alles Weitere kann ich auch später nachdenken. Und es ist immer noch wesentlich besser, draußen herumzulaufen, als zu Hause zu hocken und auf das Klingeln des Telefons zu warten. Wenigstens habe ich dann ein Ziel.
    Die ungewöhnlich klaren Strahlen der Frühsommersonne drangen durch die Spitzen der überhängenden Äste und streuten Schattentupfen auf den Boden des Weges. Da kein Wind wehte, sahen die Schatten wie am Boden haftende, verhängnisvolle Flecken aus. Vielleicht würde die Erde noch Zehntausende von Jahren, besetzt mit diesen winzigen Flecken, unaufhörlich um die Sonne kreisen.
    Als ich unter den Ästen entlanglief, huschten die Schatten behände über mein graues T-Shirt und kehrten wieder auf den Boden zurück.
    Rundherum war es still, und ich glaubte sogar die Blätter im Sonnenlicht atmen zu hören. Am Himmel schwebten ein paar kleine Wolken, scharf umrissen wie Wolken auf mittelalterlichen Kupferstichen. Alles vor meinen Augen erschien in einer so überwältigenden Klarheit, dass mir mein eigener Körper vage und verschwommen vorkam. Und es war furchtbar heiß.
    Ich trug ein T-Shirt, eine dünne Baumwollhose und Tennisschuhe, und mit jedem Schritt, den ich in der Sonne tat, spürte ich, wie mir der Schweiß unter den Achselhöhlen und auf meiner Brust herunterrann. Beides, T-Shirt und Hose, hatte ich erst heute früh aus der Kiste mit den Sommersachen geholt, sodass mir bei jedem tieferen Atemzug der stechende Geruch des Mottenpulvers wie winzige Insekten in die Nase stieg.
    Sorgfältig nach links und rechts Ausschau haltend, lief ich mit gleichmäßigen Schritten langsam den Weg entlang. Manchmal hielt ich an und rief leise den Namen der Katze.
    Unter den Häusern auf beiden Seiten des Gässchens gab es zwei Kategorien, deutlich voneinander getrennt, als hätte man zwei Flüssigkeiten mit unterschiedlichem spezifischem Gewicht gemischt. Zum einen Häuser, die schon lange dort standen, mit großen ruhigen Gärten, zum anderen vergleichsweise neue, kleinere Häuser. Die neuen Häuser besaßen meist keinen richtigen Garten, und manche von ihnen hatten noch nicht einmal ein kleines Stück. Bei diesen Häusern war zwischen Vordach und Gässchen gerade so viel Platz, dass man zwei Stangen zum Wäschetrocknen anbringen konnte. Zuweilen ragten diese Stangen bis in das Gässchen hinein, und ich musste mich an tropfenden Handtüchern, Hemden und Bettlaken vorbeischlängeln. Unter den Vordächern ließen sich deutlich die Geräusche von Fernsehern und Klospülungen vernehmen, und der Geruch von kochendem Curry hing in der Luft.
    Im Gegensatz dazu war bei den alten Häusern kaum ein Lebenszeichen zu bemerken. An den Zäunen waren verschiedenste Sorten von Sträuchern und Zypressen so angepflanzt, dass sie die Sicht ins Innere versperrten, doch ab und zu erhaschte
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