Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald
Autoren: Chris Howard
Vom Netzwerk:
Chance. Und es gab auch keinen König, der einen irgendwo hinführte, wo noch etwas wuchs. Pa hatte mir das erklärt: Alles, was aufrichtigen Glauben wert war, das sollte man auch mit den Augen sehen können.
    Ich betrachtete die staubige Straße, die Plastikwände und die getrockneten Pisseflecken. Wahrscheinlich hatte die Tatsache, dass nur noch Baracken und Stahlstädte übrig waren, viel damit zu tun, dass die Leute irgendwann angefangen haben, Bäume zu bauen. Denn selbst für die Reichen ist das Leben hässlich. Aber baut man sich einen Baum, dann hat man etwas, das man gerne ansieht. Etwas, woran man glauben kann.
    »Fleißig am Arbeiten, wie?«, brummte eine Stimme hinter mir.
    Ich wirbelte herum und entdeckte Crow, der gerade aus einem Zelt an der Ecke trat. Er trug seine Sonnenbrille, die Kopfhörer baumelten vor seiner Brust. Der Kerl überragte mich um einiges. Musste mindestens zwei Meter groß sein.
    »Sechs Fuhren«, erwiderte ich und zeigte auf die Metallberge hinten im Wagen. »Ich werde Sprit brauchen, wenn ich nach Hause komme.«
    »Nach Hause?« Crow lachte. Gemächlich und trocken. Er blickte zur blutroten Sonne hinauf, die sich in wilden Blitzen auf seiner Brille spiegelte.
    »Ich werde dir Sprit brauen, kleiner Mann«, sagte er schließlich, dann schlenderte er die Straße hinunter. »Aber du bist ein Nomade, Mann. Vergiss das nicht.«
    *
    Als ich mit der letzten Fuhre zurückkam, stand Frost mitten auf dem Feld und musterte stirnrunzelnd die Metallhaufen.
    »Ist das auch genug?«, murmelte er. Sein Gestank und die abfällig verzogenen, rissigen Lippen verrieten mir, dass er entweder direkt nach dem Aufstehen zur Flasche gegriffen oder sie die ganze Nacht nicht aus der Hand gelassen hatte.
    »Mit dieser Ladung müsste es reichen«, erklärte ich ihm, während ich einige rostige Bleche und eine Kiste mit alten Scheinwerfern auslud. Frost setzte sich mit seinem dicken Hintern in den Staub und sah mir zu.
    »Ich habe eine Markierung gemacht«, sagte er. »In der Mitte vom Feld.« Der Alkohol ließ seine Aussprache schlampig werden, deshalb konnte ich hören, dass er aus irgendeiner Gosse gekommen sein musste, bevor er reich wurde. Wenn deine Familie während der Großen Dunkelheit nicht so viel wie möglich gehortet hatte, gab es nur wenige Möglichkeiten, in den Steel Cities zu Geld zu kommen: Arbeiten für GenTech oder in der Bergungsinnung. Sammle fleißig brauchbare Überreste aus der alten Welt und feilsche noch fleißiger. Oder werde ein Mörder oder Dieb.
    »Und wozu?«, fragte ich und deutete auf das große, rote X, das Frost mit Sprühfarbe auf den Boden gemalt hatte.
    »Geht dich nichts an.« Frost zeigte drohend mit dem Finger auf mich, wobei mir die Brandnarben an seinem Daumen auffielen. Die Haut war rissig und gerötet. Er war also nicht nur ein Trinker, sondern auch ein Raucher. Ein Crystal-Junkie. Und das wiederum bedeutete, dass jene Gosse, aus der Frost gekrochen war, nichts war im Vergleich zu der, in der er nun steckte.
    Mühsam rappelte er sich auf und wollte zum Haus zurückkehren. Wahrscheinlich würde er sich etwas Crystal reinziehen und dann seinen Rausch ausschlafen. Hauptsache, er kam aus der Hitze raus, die langsam aus dem Boden aufstieg und alles gab, um der Sonne den Rang abzulaufen. Der Wind legte auch schon wieder zu. Uns stand ein Staubsturm bevor.
    »Das frei halten, Mister B.«, brüllte Frost, während er davonwankte. »Frei halten.«
    Mir war schleierhaft, warum Frost eine Lücke mitten in seinem Wald haben wollte, aber es war mir auch egal. Sobald ich wieder Sprit hatte, konnte ich die Akkus der Werkzeuge aufladen. Und wenn dann der Himmel aufklarte, würde ich das Metall reinigen, bis es glänzte.
    Pa sagte einmal, Bäume seien nicht nur Nahrungslieferanten und hübsch anzuschauen gewesen. Sie hätten nicht nur Schatten gespendet und den Wind abgehalten. Sie hätten auch das Wasser gereinigt, das Erdreich festgehalten und dafür gesorgt, dass die Luft für alle atmenden Wesen angenehmer wurde. Das sind natürlich alles nur Geschichten. Selbst mein Großvater hatte keinen echten Baum mehr gesehen. Man datiert die Große Dunkelheit auf einen Zeitpunkt, der über hundert Jahre zurückliegt.
    Also alles nur Legenden, blasse Abbilder der Vergangenheit. Und genau das würde ich bauen. Einen Wald aus Metall, Plastik, Samt und Lichtern. Bäume, wie sie mein Vater gebaut hatte und sein Vater vor ihm ebenfalls. Bäume, die ich auf Fotos oder Zeichnungen gesehen hatte.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher