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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald
Autoren: Chris Howard
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der letzten Fuhre ging mir fast der Sprit aus. Der Wagen kroch nur noch dahin und brummte widerwillig.
    Der Schrotthof lag etwas außerhalb, mitten in den Barackenvierteln, die dem Gebiet südlich der Stadt anhafteten wie ein übler Gestank. Viel zu langsam schlich der Wagen an den Zelten und Tipis vorbei, an den Plastikhütten, deren Wellblechdächer in der Hitze brutzelten. Bald umkreiste mich ein Mob aus verdreckten Kindern. Sie drückten ihre Gesichter an die Scheiben, schrien und sangen einzelne Strophen alter Lieder. Ihr nacktes Zahnfleisch war geschwollen, und sie hatten jede Menge offene Wunden im Gesicht. Irgendwann bekam ich Angst, ich könnte einige von den Kleineren überfahren, also stellte ich eine Ladung Popcorn in die Mikrowelle und wartete, bis der Beutel sich aufblähte und das Klingeln ertönte. Dann schleuderte ich den Beutel quer über die Straße, und sobald er aufplatzte, stürzten sich die Kinder darauf und wühlten im Dreck herum.
    Eine Mahlzeit weniger für mich. Aber was hätte ich denn sonst tun sollen?
    Ungefähr zwei Straßen weiter entdeckte ich den Laster von GenTech. Er war kaum zu übersehen – ein leuchtend violettes Ungetüm, vollgestopft mit Mais. Rechts und links davon standen Agenten mit schicken Schutzbrillen vor den Augen, die violetten Anzüge völlig verstaubt. Atemmasken schützten ihre Lungen. Sie hatten die Pistolen gezogen und die mit Stacheln bewehrten Schlagstöcke erhoben. Und hinten, direkt aus dem Laster heraus, verkauften sie Maisrationen, wie immer zu mörderischen Preisen. Selbst bei dem minderwertigsten Mais zählt für die meisten jedes Korn. Egal ob du Sprit daraus braust oder ihn dir einverleibst, so oder so ist das Zeug nicht billig. Nicht, solange nur GenTech ihn anbauen kann und es das Einzige ist, was überhaupt noch wächst.
    Klar, man kann versuchen, eines der Körner einzupflanzen, und wenn man genug Wasser findet, wird es auch prima wachsen. Aber auf jedem Maiskorn jeder neuen Pflanze wird in winzigen, violetten Buchstaben der Name GenTech stehen. Und wenn die Agenten dich dann finden, bringen sie dich um.
    So einfach ist das.
    Die Baracken waren schon nicht mehr ganz so dicht besiedelt. Der Winterexodus hatte begonnen: Mutige Kämpfer brachen nach Westen auf, Richtung Vega, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Wenigstens war jetzt Winter. Um während der warmen Monate nach Westen zu ziehen, musste man schon sehr verzweifelt sein. Vega befindet sich jenseits der Plantagen von GenTech, und auf diesen Plantagen schlüpfen während des Sommers die Heuschrecken.
    Maisstengel sind nämlich das Einzige, in das eine Heuschrecke sich noch hineingraben kann. Und sie bleiben stets in der Nähe des einen Ortes, an dem sie noch nisten können. Aber ernähren können sich die Heuschrecken nicht von den Maiskörnern. GenTech hat dafür gesorgt, dass man den Mais kochen muss, um ihn kauen zu können. Sie haben den Mais immer weiter manipuliert, bis er so ziemlich alles überleben konnte. Doch sie haben ihre Arbeit so gut gemacht, dass die Natur etwas fast ebenso Raffiniertes hervorgebracht hat – denn falls es einen Weg gibt, die Heuschrecken auszurotten, hat ihn bisher noch niemand entdeckt.
    Und das ist der Grund, warum man während der Sommermonate besser einen großen Bogen um die Plantagen macht. Da draußen gibt es dann nur die Wilderer in ihren Tunneln und die Feldarbeiter, die von GenTech kaum mehr als einen Hungerlohn bekommen. Denn sobald die Heuschrecken schlüpfen, stürzen sie sich auf das einzige Lebewesen, das ihnen noch als Nahrung dienen kann: den Menschen.
    Menschliches Fleisch.
    Für meinen letzten Dollar bekam ich eine halbe Stunde an der Wassersäule, also setzte ich mich auf die Motorhaube und hörte zu, wie das schmutzige Wasser in den Kanister tröpfelte.
    Am Ende des Blocks versammelten sich einige zerlumpte Gestalten und scharten sich um einen alten Rasta, der große Reden schwang. Er stand so krumm, dass sein Bart durch den Dreck schleifte, und umklammerte einen alten Hockeyschläger, den er zum Wanderstab umfunktioniert und bunt umwickelt hatte, klassisch in Rot, Gold und Grün. Eifrig faselte er etwas von Zion und dem König, der uns über das Meer führen würde. Bringt genug Geld auf, und sie werden ein Schiff bauen, sagte der Rasta. Ein Schiff, das groß genug ist, um die Brandung zu überwinden.
    An dieser Stelle verlor der Rasta fast sein gesamtes Publikum. Denn es gab keine Möglichkeit, die Brandung zu überwinden. Keine
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