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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald
Autoren: Chris Howard
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ich auf sie hinunter, ohne einen bewussten Gedanken zu fassen.
    Es war so, als hätte ich sie zweimal sterben sehen. Denn sie hatte die Kugel genauso abgefangen, wie Hina im Maisfeld die Heuschrecken aufgehalten hatte.
    Beide hatten sie sich geopfert. Den eigenen Tod herbeigeführt. Für mich.
    Kurz überlegte ich, ihre Leiche mitzunehmen, entschied mich dann aber dagegen. Genau hier sollte sie ruhen, dachte ich mir. Auf dieser Insel, die sie sich ausgesucht hatte. In diesem stählernen Grab. Obwohl sie eigentlich eine richtige Beerdigung verdient gehabt hätte. Und ich hätte wohl irgendetwas sagen sollen. Doch als ich den Stoff wieder über ihr Gesicht zog, fand ich keine passenden Worte. Mir fiel nur dieses alte Lied ein, das Pa und ich immer gesungen hatten, der Song, der sich unwiderruflich in unserer Karre verklemmt hatte. Der von den verwelkten Blumen und dem Kerl, der einem toten Mädchen Rosen ans Grab bringt.
    Doch mir war nicht danach, etwas zu singen. Also stand ich einfach auf und rannte aus der Obstplantage, wich geduckt den Kugeln aus und sprintete, so schnell ich konnte, den Hügel hinauf.
    Der Tank rollte ein Stück weit vor mir, und ich sah, dass jetzt Zee ihn lenkte, die Hände fest um die Fernbedienung gelegt. Alpha stand hoch aufgerichtet da und sorgte mit ihrer Waffe dafür, dass hinter mir der Weg frei blieb. Als ich sie einholte, sprang ich auf den Tank auf, in dem Bewusstsein, dass unter dem schwarzen Metall die grünen Setzlinge im goldenen Licht trieben.
    Alpha half mir hoch, und wir kauerten uns dicht aneinandergeschmiegt hin. Wenig später hatten wir die Hügelkuppe erreicht, und es ging abwärts. Wir warteten noch, bis die Bioraffinerie fast nicht mehr zu sehen war. Dann durchsiebte Alpha sie mit ihrer Waffe.
    Brennende Hitze begleitete die Explosion, durch die alle Agenten auf der anderen Seite des Hügels festgehalten wurden. Jetzt konnte ich auch Crow unter uns auf dem Schiff sehen, er winkte und brüllte unsere Namen. Alles wurde in feurige Farben getaucht, und die Flammen spiegelten sich in dem glatten See.
    »Was für Bäume sind das eigentlich?«, rief Alpha, nachdem der dritte Knall verhallt war und die Flammen sich ein wenig legten.
    »Apfelbäume«, erklärte Zee. »Eine ganz neue Art.«
    »Okay.« Alpha legte mir den freien Arm um die Schultern, ohne ihre Waffe loszulassen. »Und wo geht’s jetzt hin, Freundchen?«
    »Mir egal«, sagte ich, als der Tank schlingernd den Strand erreichte. »Solange wir nur alle zusammen bleiben.«
    *
    So verließen wir Promise Island, begleitet von in der Ferne verhallenden Schüssen. Die Agenten konnten nur von der qualmenden Feuergrenze aus zusehen, wie unser Schiff ihre Küste hinter sich ließ.
    Alpha meinte, wir bräuchten nichts weiter als die Sterne, und von denen standen jede Menge am Himmel. Eine Karte aus kaltem, weißem Licht erstrahlte über uns und führte uns bis zum Sonnenaufgang nach Süden. Unter uns das tiefe, schwarze Wasser, das uns nach Hause brachte.
    Nach Hause?
    War es das denn? Dieser große, alte Haufen Dreck?
    Wahrscheinlich schon. Oder zumindest konnte es dazu werden.
    Im Laderaum versorgten wir die Überlebenden mit Kleidung und Essen, dann verstauten wir Pas Tank tief unten im Rumpf. Anschließend ließ ich die anderen mit ihren Karten und Spielzeugen auf der Brücke allein. Crow versuchte gerade, mit einem Navi unsere Position zu bestimmen.
    Ich setzte mich ganz allein aufs Deck und starrte Richtung Süden. Der eisige Wind malträtierte meine Haut, bis sie taub wurde, während ich über meinen Vater nachdachte.
    Das Haus in den Baumkronen würden wir nun nie mehr bauen. Und wahrscheinlich würde er mir für den Rest meines Lebens schmerzlich fehlen. Aber gleichzeitig überlegte ich, ob wir nicht gemeinsam noch einen letzten Wald erschaffen konnten: Wenn ich diese Setzlinge pflanzte und miterlebte, wie sie zu großen Bäumen heranwuchsen.
    Der Gedanke an eine Welt, in der wieder Bäume wuchsen, stahl sich in mein Bewusstsein. Und wenn diese Bäume überlebt hatten, was für andere Dinge mochte es dann irgendwo da draußen geben, die sich ebenfalls ans Leben klammerten? Ursprüngliche Dinge, die eine Welt schufen, an die man glauben konnte. Deswegen hatten die Leute ja überhaupt erst angefangen, Bäume zu bauen. Um etwas zu haben, woran sie glauben konnten. Um zu beweisen, dass man ein Ding nehmen und etwas völlig anderes daraus machen konnte.
    Ich stellte mir vor, was ich wohl tun würde in einer Welt, in der
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