Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald
Autoren: Chris Howard
Vom Netzwerk:
der Dunkelheit wirkte ihr Gesicht plötzlich so alt wie die Erde selbst und so bitter wie der kalte Wind, der vom Wasser herüberwehte.
    »Den Schlüssel«, forderte ich. Schon wieder.
    »Was hast du vor?«, flüsterte sie.
    »Ich nehme ihn mit. Pa, meine ich. Oder das, was von ihm noch übrig ist. Und ich bringe die Bäume zurück aufs Festland und gebe sie frei.«
    »Nein«, winkte sie ab. »Ich meine: Was hast du mit mir vor?«
    Ich versuchte, die Hand ruhig zu halten. »Gib mir einfach den Schlüssel, Frau.«
    »Ich bin deine Mutter, Banyan.«
    »Von wegen!« Auf einmal schrie ich sie an: »Ich kenne dich ja nicht mal!«
    »Weil er dich mir weggenommen hat. Er hat dich gestohlen, und deswegen soll ich das hier verdient haben?«
    »Du verdienst einen Scheißdreck, Frau. Und in diesem Bunker warten Hunderte von Menschen auf den Tod, das beweist wohl, was du bist!«
    »Was?«, brüllte sie. »Was denkst du denn, dass ich bin?«
    »Du bist eine Mörderin.« Ich schob die Nagelpistole in ihre Richtung. »Und eine Diebin. Und ich werde mir diesen Schlüssel holen.«
    Aber ich konnte es nicht.
    Es ging einfach nicht.
    Alles war schiefgelaufen. Jetzt weinte sie auch noch, und ich fing an, mich dafür zu hassen. Am liebsten hätte ich sie gehen lassen, sie sollte bloß aufhören zu heulen. Vielleicht wollte ich ihr sogar verzeihen. Ja, genau das wollte ich.
    Aber dafür hatten wir jetzt keine Zeit.
    »Komm schon«, sagte ich, als sie schluchzend in sich zusammensackte. Sie ließ sich in den Schnee fallen, während ich versuchte, sie festzuhalten. Ich wollte ihre Taschen abtasten, nach der Karte suchen, die ich so dringend brauchte, damit ich mein Ablenkungsmanöver starten und von hier verschwinden konnte.
    Plötzlich hatte ich das Gefühl, kostbare Zeit zu verschwenden. Alles in mir drängte mich dazu, endlich loszulegen. Also ließ ich die Frau einfach liegen und zielte auf den Baum. Ich richtete die Nagelpistole direkt auf das Fass voller Sprit. Langsam legte sich mein Finger auf den Abzug.
    Aber irgendetwas hielt mich zurück.
    Hinter mir knirschten Schritte im Schnee, doch noch bevor ich mich umdrehen konnte, spürte ich den Schlagstock auf meinem Hinterkopf. Einer von denen mit Stacheln. GenTech-Ausrüstung. Er knallte gegen meinen Schädel, und alles wurde weiß.
    Blutend landete ich im Schnee. Ich blinzelte, bis ich wieder klar sehen konnte, dann drehte ich mich blitzartig auf den Rücken. Die Nagelpistole war weg. Schon lange.
    Da stand sie. Dieses Gesicht, das mir wohl nie wieder aus dem Kopf gehen würde. Zee. Stand mit dem Schlagstock in der Hand über mir, völlig atemlos, das Gesicht mit Rotz und Tränen verschmiert.
    Sie sagte etwas, aber ich konnte sie nicht hören. Und das nicht, weil mein Schädel fast platzte und es in meinen Ohren dröhnte. Sondern wegen der Schüsse, die hinter der Anhöhe knallten. Sofort wurde mir klar, dass Frost in Schwierigkeiten steckte. Und dass mein gesamter Plan bereits gescheitert war.

Kapitel 55
    V orsichtig setzte ich mich auf und wischte das Blut ab, das aus der Wunde an meinem Hinterkopf lief. Ich fühlte mich benommen, und mir war total schlecht. Meine Mutter kniete immer noch weinend im Schnee, und ich fragte mich, was sie so tief verletzt haben könnte. Hatte sie nicht Tausende Male genau dasselbe getan? Etwas zerstört, damit man es wieder reparieren konnte?
    Wieder erklangen Schüsse. Sie knallten wie kurze Donnerschläge.
    »Was ist da drüben los?«, fragte Zee.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Oh, doch. Still sitzen und warten, meintest du.« Sie schüttelte den Kopf. »Du wolltest mich loswerden.«
    »Ich wollte, dass du in Sicherheit bist. Ich wollte dich mitnehmen.«
    »Und was ist mit ihr?«
    »Macht euch um mich keine Gedanken«, sagte meine Mutter. Sie war aufgestanden und klopfte sich den Schnee von der Kleidung.
    Das war der Moment. Nur ein winziger Augenblick, wenige Sekunden, in denen die beiden sich anstarrten, als wollten sie zu einem Entschluss über mich gelangen. Ich durchwühlte den Schnee nach irgendetwas, das ich benutzen konnte.
    »Dein Vater wäre erschossen worden.« Meine Mutter drehte sich um und starrte mich finster an. »Als die Agenten ihn erwischten, ketteten sie ihn an diese Bäume hier, streckten ihre Schlagstöcke in die Luft und jubelten.«
    Aber ich wollte nicht länger zuhören. Meine Finger waren auf etwas Hartes gestoßen. Das Kunststoffrohr, das ich für meinen Baum ausgegraben, aber am Ende doch nicht benutzt hatte. Nun schnappte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher