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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05
Autoren: Stephen R. Donaldson
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obwohl er einen Großteil der Selbstdisziplin, die dem Wiederausbruch des Leidens vorbeugte, inzwischen vergessen hatte oder vernachlässigte. Statt dessen jedoch schwoll in ihm das Gift, das ein Wütrich und das Sonnenübel ihm auferlegt hatten. Das Gift, ein irgendwie seelisches Gift, war gegenwärtig nur unterschwellig vorhanden, aber es belauerte ihn wie ein Raubtier, das auf den richtigen Moment wartete, um seine Beute anzuspringen. In Lindens Wahrnehmung zeigte es sich unterm Teint von Covenants Haut so deutlich, als hätte sich ihm durch irgend etwas das Knochenmark schwarz verfärbt. Mit dem Gift und seinem Ring aus Weißgold war er der gefährlichste Mensch, den sie je gesehen hatte.
    Sie empfand diese Gefährlichkeit, die in ihm wohnte, als attraktiv. Sie stand für ihre Begriffe für jene Eigenschaft der Stärke, die sie anfangs zu ihm und zur Haven Farm gezogen hatte. Als er sein Leben für Joans Leben darbot, hatte er Joan zugelächelt; und dieses Lächeln hatte mehr von seiner inneren Kraft gezeigt, seiner Fähigkeit, das Schicksal selbst zu meistern, als irgendwelche Drohungen oder Gewalttätigkeiten es getan hätten. Das Caamora der Erlösung, zu dem er den Toten Herzeleids verholfen hatte, war eine Demonstration dessen gewesen, was er im Namen seiner vielschichtigen Schuldgefühle, in seinen heftigen Gemütsregungen zu leisten vermochte. Er war ein lebendes Paradoxon, und Linden lechzte regelrecht danach, es ihm gleichzutun.
    Trotz des Gifts und seiner Lepra, trotz seiner Selbstverurteilung und seines Grimms war er eine Verkörperung der Lebensbejahung – ein Rückhalt für das Leben und für alle Hingabe an das Land, eine selbsterklärte Opposition zu allem, was der Verächter trieb. Und was war sie? Was hatte sie je in ihrem Leben anderes getan, als vor der Vergangenheit zu fliehen? All ihre Strenge, all ihr Drang nach ärztlicher Tüchtigkeit als Mittel gegen den Tod hatten von Anfang an negative Vorzeichen besessen – waren eine Ablehnung des Erbes der Sterblichkeit gewesen, keine tatsächliche Verinnerlichung der Überzeugungen, denen sie dem Anschein nach diente. Sie glich dem Land unter der Tyrannei der Sonnengefolgschaft und des Sonnenübels – eine Stätte, wo Furcht und Blutvergießen herrschten, nicht Liebe.
    Das hatte Covenants Beispiel sie über sich selbst gelehrt. Selbst als sie noch gar nicht verstanden hatte, weshalb er sie so stark anzog, war sie ihm gefühlsmäßig gefolgt. Und nun war ihr klar, sie wollte so wie er sein. Sie sehnte sich danach, für jene Kräfte, die Menschen in den Tod trieben, eine Gefahr zu sein.
    Sie musterte ihn, während sie nebeneinander ausschritten, versuchte seine verhärmten, prophetenhaften Gesichtszüge, die Verpreßtheit seiner Lippen und das wirre Knäuel seines Bartes ihrer eigenen Entschlossenheit aufzuprägen wie ein Leitbild. Eine karge Erwartungshaltung ging von ihm aus, die sie mit ihm teilte.
    Genau wie sie blickte er der Aussicht auf eine von Hoffnung getragene Seereise in der Begleitung von Riesen guten Mutes entgegen. Obwohl sie erst wenige Tage mit Grimme Blankehans, Ankertau Seeträumer, Pechnase und der Ersten der Sucher verbracht hatte, verstand sie den Anflug inniger Zuneigung bereits vollauf, der sich Covenants Stimme anmerken ließ, sobald er von den Riesen, die er früher gekannt hatte, zu reden anfing. Doch darüber hinaus regten sich in ihr eigener Eifer, eigene Erwartungen.
    Fast vom selben Augenblick an, als hier im Land ihre Wahrnehmung für das Gesunde wie das Kranke erwachte, war sie für sie ein ständiger Quell des Grausens und der Qual gewesen. Ihr erstes akutes Erlebnis dieser Art hatte mit der boshaft begangenen Ermordung Nassics zusammengehangen. Und jenem Vorfall war eine scheinbar endlose Reihe von Erlebnissen mit Wütrichen und Konsequenzen des Sonnenübels gefolgt, durch die sie dicht an die Grenzen ihres Durchhaltevermögens geriet. Die unausgesetzte Drangsal allzu spürbarer Übel – seelischer und körperlicher Leiden, die sie niemals zu heilen imstande sein könnte – hatte sie mit einem Gefühl äußerster Hilflosigkeit erfüllt, weil jeder Blick, jede Berührung auf einen Beweis ihrer Nichtsnutzigkeit hinauslief. Und dann war sie der Sonnengefolgschaft in die Hände gefallen, in die Gewalt des Wütrichs, der in Gibbon stak. Die Prophezeiung, die er in bezug auf sie ausgesprochen, die mörderische Ungeheuerlichkeit, die er in ihr Inneres verstrahlt hatte, waren selbst in die entlegensten Winkel ihrer
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