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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05
Autoren: Stephen R. Donaldson
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irgendeiner See bezwungen werden zu können.
    Sonnenschein erhellte den Hafen, überzog das sachte Schwappen des Wasserspiegels im Hafenbecken neben dem Schiff mit Geglitzer, beschien die Bauten von Coercri , als wäre dies der erste wirkliche Morgen seit dem Untergang der Entwurzelten. Auf Grimme Blankehans' Anweisungen machten sich einige Riesen darauf gefaßt, die Vertäuung zu lösen; andere sprangen in die Takelage, turnten mit der Leichtigkeit von Kindern an den schweren Wanten empor. Wieder andere begaben sich unter Deck, begannen sich dort mit den inneren Vorgängen des Schiffs zu beschäftigen, bis Lindens ungeübte Sinne ihnen nicht mehr folgen konnten. Innerhalb weniger Augenblicke fingen die unteren Segel sich im Wind zu kräuseln an; und dann schwamm die Sternfahrers Schatz seewärts.

2
     

TRÜBSINN
     
     
    Linden bemühte sich, alles zur gleichen Zeit zu beobachten, während die Dromond sich vom Anlegeplatz entfernte und beidrehte, um in offene Gewässer auszulaufen. Sie schaute von einer zur anderen Seite, sah die Riesen die Segel setzen, als würde diese Arbeit nicht durch körperliche Anstrengung, sondern durch magische Beschwörungen verrichtet. Unter ihren Füßen begann das Deck zu schwanken; doch der Seegang war schwach, und das enorme Gewicht des Riesen-Schiffs verlieh ihm Stabilität. Linden spürte keinerlei Unwohlsein. Ihr Blick kreuzte sich mehrmals mit Covenants Blick, und seine Gemütserregung steigerte ihre Aufgewühltheit zusätzlich. Seine Miene war frei von allem Düsteren; sogar sein Bart schien von einer Fülle neuer Aussichten zu knistern. Nach einem Moment fiel ihr auf, daß er Worte in den Wind hauchte.
     
    »Stein und See sind tief im Leben,
    sind die Wahrzeichen der Welt:
    dauerhaft verharrend, dauerhaft sich regend,
    Teilhaber der Kraft, die ewig währt.«
     
    Sie prägten sich ihrem Gedächtnis ein wie ein Akt der Ehrung.
    Als sie den Standort wechselte, um nach Coercri zurückzublicken, erfaßte der Wind ihr Haar, wehte es ihr übers Gesicht. Sie pflügte die Finger in ihre weizenblonden Strähnen, hielt sie fest; und diese einfache Gebärde rief in ihr mehr Freude an sich selbst hervor, als sie seit langer Zeit verspürt hatte. Der Geruch von Salz würzte die Luft, schien sogar das Sonnenlicht schärfer zu machen, so daß Herzeleid, während es zurückblieb, darin einer Stätte der Wiedergeburt glich. Linden neigte zu dem Gedanken, daß dort vielleicht mehr Dinge wiedergeboren worden waren, als sie zu hoffen gewagt hätte.
    Da fing Pechnase zu singen an. Er stand in einigem Abstand, aber seine Stimme ertönte leicht wie Licht über die Dromond, erhob sich kräftig aus seiner deformierten Brust, trotzte dem Rauschen der Wogen und dem Knattern des Segeltuchs. Die Melodie ähnelte einem Choral, durchsetzt mit allerlei Betonungen und mit Andeutungen von Harmonie, und die anderen Riesen fielen alsbald ein.
     
    »Kommt, Wasser und Wellen,
    breiter Pfad ins Fernhinaus
    und Tor zur weiten Welt!
    Alle Wege führ'n nach Haus!
     
    Kommt, Wind und Wehen,
    des Himmels Atem, der Segel Leben!
    Das Tuch entrollt, die Leinen los,
    das Herz gelüstet's nach Sturm und Beben.
     
    Kommt, Seefahrt und Forschen,
    Entdeckung all der Erde,
    Entwirrung von Rätseln,
    Schweifen ohne Not und Beschwerde.
     
    Kühnes Wagen und Weltumfahren
    bewahren des Lebens Herz vor Unbill und Leid.
    Wir sind auf dem Meer zu Gast
    und lieben die Ferne, so groß und weit!«
     
    Die Riesen waren freudenvolle, frohgemute Sänger, und ihre Stimmen gaben zum Schwanken der Masten eine kontrapunktische Begleitung ab, während das Anschwellen eines Stakkatos ihren Gesang untermalte, indem die Brise kräftiger in die Segeltuchbahnen fuhr. Die Sternfahrers Schatz schien ebenso mit den Klängen der Musik wie mit Wind zu fahren. Und während der Wind stärker blies, entschwand Coercri mit verblüffender Schnelligkeit an den Horizont, und die Sonne schwang sich höher an den Himmel. Grimme Blankehans und die Besatzungsmitglieder tauschten Bemerkungen und Witzeleien aus, als gäben sie um nichts etwas; aber den Augen unterm Bollwerk von Blankehans' Stirn entging nichts. Inzwischen waren auf seine Anordnung hin auch die restlichen Segel gesetzt worden; und die Sternfahrers Schatz glitt mit einer Geschwindigkeit ins Meer der Sonnengeburt hinaus, die der Verheißung ihrer gemaserten Flanken vollauf entsprach. Linden konnte Schwingungen wie ein Schaudern durch den Stein laufen spüren. In den Händen der Riesen verwandelte
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