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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast
Autoren: Nadine Gordimer
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ja«, murmelte er in seiner englischen Art.
    »Nun, das ist gut, das ist
gut
. Mach dir nichts draus, Mrs. Bray wird später nachkommen.«
    »Bis sie so weit ist, daß sie Venetia das Baby anvertraut, werden die Feierlichkeiten vermutlich schon vorüber sein.«
    »Das meine ich ja – bis sie ankommt, hast du dich schon einigermaßen eingelebt.«
    Sie standen an der Tür zu Mwetas Taxi; es kam zu einer plötzlichen Gefühlsbewegung zwischen den beiden Männern; der Engländer stand da, und der kleine schnelle Schwarze nahm ihn beim Bizeps, drückte ihn fest durch seinen dunklen Anzug, so wie er in seinem Land mit einem Bruder die Finger verhakt hätte. Erlöst durch den physischen Kontakt, sagte er zu Mweta: »Worüber reden wir eigentlich?«, und Mweta sagte: »Über dich – ich hab dir schon gesagt, daß wir dich jetzt zurückerwarten.«
    »Aber was sollte ich tun? Wozu wäre ich denn gut?« So sehr war er es gewohnt, sich in Stunden der Diskussion über verfassungsrechtliche Fragen und politische Taktik selbst zurückzunehmen (ein Weißer, ein Außenseiter, der seine ganze Hilfe ohne Rücksicht auf persönliche Interessen anbot), daß ihn nun ein starkes Bewußtsein seiner selbst durchflutete, so als hätte ihm jemand ein Aufputschmittel in die Venen injiziert.
    »Was immer du willst! Alles gehört uns! Wir brauchen dich; was immer du willst!« Mweta riß sich los und sprang ins Taxi.
     
    Die blasse Steinfassade mit ihren steinernen Türstürzen und Fenstersimsen, die glatt und abgegriffen waren wie ein Stückgebrauchter Seife, lag direkt an der leeren Straße, aber die eigentliche Front des Hauses war die Rückseite. Durch das Gebäude geschützt, war der Garten ein grasbewachsener Aussichtsplatz, von dem aus man über die verschwommenen Farbtöne der Blumen, über die Bienen und frühen Nachtfalter bis in das langgestreckte Tal hineinblickte. An Sommerabenden erledigte er mit Olivia die Gartenarbeit, wenn auch beide nicht mit dem Ernst, mit dem sie ihr tagsüber nachging, sondern planlos, indem sie hier und da, rein um des Vergnügens willen, ein Unkraut herauszogen, um zu spüren, wie die Wurzeln sich vom Humus lösten, und um mit den Erdkrumen, die sich an dieses bartartige Wurzelwerk klammerten, den Geruch des Bodens mit heraufzuholen, der üppig war wie der Geruch von Obstkuchen. Unter den Walnußbäumen hatten sie für die weißen Holzstühle und den Tisch Steinfliesen gelegt, damit es nicht zu feucht würde. Dort tranken sie Whisky oder, nach dem Abendessen, sogar Kaffee. Manchmal, bevor die Dämmerung den Wald in größere Entfernung zurückweichen ließ, trat er ins Sonnenlicht hinaus, das sich wie goldenes Wasser in der Wiesensenke sammelte, und schoß ein Rebhuhn. Es war niemand da, sich um Jagdrechte zu kümmern. Später, wenn sich der Tag geneigt hatte, reinigte er sein Gewehr fast gefühlsmäßig, und der saubere, nüchterne Geruch des Waffenöls entsprach dem einfachen Vergnügen dieser Beschäftigung. Bei weitgeöffneten Wohnzimmerfenstern spielte Olivia Schallplatten, so daß die Musik zu ihnen herausdrang.
    Diesen Sommer waren es Strawinsky und Poulenc; sie gehörte jener Generation und Klasse an, die andere Frauen dafür bezahlte, daß sie für sie strickten, aber jetzt, da sie selbst in Kürze Großmutter werden sollte, nähte sie für ihre Nichten und Neffen lustige Stofftiere. Sie besaß eine Zigarrenkiste voll einzelner Knöpfe für die Augen. Jetzt legte sie ihr Nähzeug beiseite, denn etwas, das sie in ihrer Jugend gehaßt hatte, war das heuchlerische Getue, das ältere Frauen an den Tag legten, wenn sie mit etwas äußerst Wichtigem konfrontiert wurden.
    »Wahrscheinlich haben wir oft gesagt, wir würden zurückkommen,sobald sie ihre Unabhängigkeit haben.« Sie zuckte zweifelnd die Schultern – zum Eingeständnis der Oberflächlichkeit einer anderen Art von Alltagsgeschwätz aus einer anderen Zeit.
    »Es geht nicht darum, was wir gesagt haben.«
    Das wußten beide; wichtig war damals gewesen, daß man Adamson Mweta Selbstvertrauen vermittelte, indem man eine Zukunft voraussetzte, die nur deshalb real war, weil man, als Weißer, der persönlich nichts dabei zu gewinnen hatte, zeigte, daß man glaubte, es werde dazu kommen.
    Während sie ihren Blick über das Tal hinwegschweifen ließ, um ihn dann ruhig auf ihn zu richten, stand in ihrem Gesicht wieder der Wunsch, genau wissen zu wollen, wovon sie eigentlich sprachen.
    Er sagte: »Sicher,
damals
dachte ich daran, wieder zurückzugehen.
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