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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast
Autoren: Nadine Gordimer
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Einkaufsstraße des Vororts in der Nähe ihres Hotels, als jemand ihren Namen rief. Es war, als legte sich eine schwere Hand auf ihre Schulter. Sie wandte sich um. Ein großes, sehr schlankes Mädchen mit schmalem, blassem Gesicht, eingerahmt von glattem, schwarzem Haar, lehnte lässig an einem Einkaufswagen. Es war Emmanuelle. »Ich dachte, daß du es bist, aber es konnte nicht sein – bist du auf Urlaub hier?«
    »Meine Familie lebt in England. Ich bin seit etwa zwei Wochen hier.« Sie umklammerte ihre Tüte, in der sich eine Birne und eine Orange befanden; Beweise ihres Einsiedlertums. »Und du – wohnst du irgendwo hier in der Nähe?« Emmanuelles Haar legte sich im Wind um ihren Hals wie ein Schal. »Wir wohnen gleich die Straße runter. Eine abscheuliche Kellerwohnung. Aber nächsten Monat suchen wir uns ein großes Studio – wenn wir es nicht vorziehen zurückzugehen.«
    »Zurück? Könnte Ras denn zurück?«
    »Es ist jemand anders.«
    »Oh, Entschuldigung – ich dachte nur …«
    Sie standen da und unterhielten sich miteinander – zwei Frauen, die einander nie besonders gemocht hatten. Emmanuelles Hände schlugen auf dem Griff ihres Korbes eine Art Triller der Bedeutungslosigkeit an. »Macht nichts. Kein Drama. Wir sind Freunde geblieben und so weiter. Ich lebe mit Kofi Ahuma zusammen – er hat gerade seinen ersten Roman veröffentlicht, aber jetzt ist sein Vater in Ghana wieder in Gnaden, und so kann er seinem Heimweh nachgeben. Kann also sein, daß wir nach Ghana gehen. Hast du die Kinder mit? Wir produzieren gemeinsamein Stück für Kinder – er hat es geschrieben, und ich hab die Musik dazu gemacht. Es läuft ab morgen drei Tage im Theatre-Club, vielleicht gefällt es ihnen.«
    »Nein, sie sind nicht da.«
    Emmanuelle nickte kurz mit dem Kopf, wie jemand, dem etwas einfällt, was ihn nicht besonders interessiert hat. »Oh, mein Gott – du warst doch bei diesem schrecklichen Unfall dabei, oder?« Sie zeigte ein wenig Neugier. »Was ist mit Colonel Bray passiert – man hat ihn zusammengeschlagen, nicht?«
    »Sie haben ihn umgebracht.«
    »Wie entsetzlich.« Sie mochte Ras verlassen haben, war aber immer noch mit seinen Ansichten gewappnet. »Natürlich, er hat sich mit Shinza und seinen Leuten eingelassen. Armer Teufel. Diese weißen Liberalen, die sich in Dinge reinziehen lassen, die sie nicht verstehen. Was hat er erwartet?«

 
     
    DIE BEIDEN TRUPPENTRANSPORTE , die auf Mwetas Hilfsersuchen aus England eingeflogen worden waren, hatten es vorläufig geschafft, im Land wieder Ordnung herzustellen. Aber Mweta saß wieder in seinem großen Haus, und Shinza war im Exil in Algier, und Cyrus Goma, Basil Nwanga, Dhlamini Okoi und viele andere mehr waren irgendwo in Haft und – vorläufig – vergessen.
    Hjalmar Wentz blieb unverletzt im Haus in Gala, und er war es, der Brays Sachen nach Brays Tod zusammenpackte und an seine Frau, Olivia, sandte.
    Niemand konnte mit Bestimmtheit sagen, ob Bray, als er auf seinem Weg in die Hauptstadt getötet wurde, die Absicht gehabt hatte, Mweta zu treffen oder Waffen für Shinza zu kaufen. Wie von seinem Freund Dando vorausgesagt, war er für einige ein Märtyrer der Wilden; für andere war er einer dieser Verrückten vom Schlage eines Geoffrey Bing oder Conor Cruise O’Brien, der sich das eingehandelt hatte, was er verdiente. Ein englisches Monatsjournal zog ihn in einer Nummer, die dem »Niedergang des Liberalismus« gewidmet war, als interessante Fallstudie heran: ein Mann, »der sich von Skeptizismus und der Resignation des empirischen Liberalismus abgewandt hat und zu einem von jenen wurde, die, gequält von der Dummheit und dem Bösen in der Politik, schließlich bereit sind, apokalyptische Lösungen zu akzeptieren, durch Blut zu waten, wenn es sein muß, um wirkliche Veränderungen zu bewirken«.
    Hjalmar Wentz packte auch Brays Kiste mit den Papieren zusammen und händigte sie an Dando aus, weil dieser vielleicht wußte, was mit ihnen anzufangen war. Letztlich mußten sie in die Hände von Mweta gelangt sein. Der entschloß sich offenbar zu glauben, Bray sei ein Mann der Versöhnung gewesen; ein Jahr später veröffentlichte er einen Entwurf für das neue Erziehungs-system des Landes, den
Bray Report
.

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