Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast
Autoren: Nadine Gordimer
Vom Netzwerk:
mitgeteilt hatte, fing plötzlich an zu reden wie ein Vogel, von dessen Käfig man den Überwurf entfernt hatte. Er quetschte sich zwischen den Sitzen durch, um den Schuh zurückzuholen, den sie irgendwo über einer fernen Wüste verloren hatte; sie lachte, machte, sich entschuldigend, Einwände und schüttelte Kölnischwasser auf ihren sommersprossigen Busen. Sie zog den kleinen Vorhang vor dem ovalen Fenster zurück, blickte hinaus in das gleißende Licht des Raumes und sagte: »Prachtvoller Morgen, hier oben!«, und dann diskutierten sie angeregt über den kalten und plötzlichen Wintereinbruch, den sie hinter sich gelassen hatten.
    Da er keinen Fensterplatz hatte, sah er weder den Busch noch die Erde, die rot war wie Ziegelstaub, noch den hochgewachsenen Steckginster am Rande der Flußbetten, bevor das Flugzeug auf dem Rollfeld zum Stillstand gekommen war und sie auf die Ankunft des Inspektors des Gesundheitsamtes an Bord warteten. Er machte seinen Sicherheitsgurt auf und beugte sich vor, um einen Blick durch die trübe Linse am entfernteren Ende der Sitzreihe zu werfen; und da war wieder alles, winzig und verzerrt, der Busch, die Erde – genauso wie es ihm, ohne daß er darüber nachdachte, in Erinnerung gewesen war. Es war unter seinen Füßen, und es war um ihn herum. Ein Schwarzer in kurzen Khakihosen (früher ein Weißer in weißen Strümpfen) versprühte widerlich parfümiertes Insektenschutzmittel über den Köpfen der Passagiere – eine Vorsichtsmaßnahme dagegen, daß sich im Flugzeug Moskitos und Tsetsefliegen aufhalten mochten. Die Einstiegsluken gingen auf; die Luftströmungen trugen Stimmen von draußen herein; berauscht vom Wiedererkennen, das alle Sinne gleichzeitig erfüllte, drängte er mit den anderen hinaus und überquerte gleichmäßigen Schrittes das Asphaltfeld, durch den Geruch roher Kartoffeln, der dem niedrigen Gestrüpp entströmte, an den Händen die morgendlich frische Wärme und hinten in der Kehle den kühlen, metallischen Geschmack des nächtlichen Unwetters – hin zum Flughafengebäude mit seinen fünf rosa Jasminbäumen und zur Umzäunung, wo noch immer Arbeitslose und Kinder, ihre Finger in die Maschen des Drahtzaunes gehakt, standen und herüberstarrten. Die aussteigenden Passagiere waren einander wieder völlig fremd geworden, hatten keine Beziehung mehr zueinander, sondern zu den geöffneten Mündern, den lächelnden Gesichtern und zu den von den Balkonen des Flughafens winkenden Händen. Er kannte keinen, aber der Gang war wie eine Prozession, ein Empfang, den man ihm da bereitete, und als er das Gebäude über die Stufen betrat, auf denen wie immer die toten Insekten lagen, die während der Nacht von den Lampen gefallen und nicht weggefegt worden waren, war das alles plötzlich vertraut und bekannt, so wie die Gesichterder Wartenden den Ankommenden erscheinen mußten. Während sie darauf warteten, zu den Schaltern der Zollbeamten vorgelassen zu werden, ignorierten die Reisegenossen einander. Nur der Mann mit dem geblümten Beutel lächelte, als kenne er die Konvention nicht, sein »Da sind wir wieder«-Lächeln weiter.
    »Sie sind Colonel Bray?« Er sprach um das Hindernis einer Frau herum, die zwischen ihnen stand. »Dachte mir doch, daß Sie es sind, als ich Sie in Rom gesehen habe. Willkommen.« »Ich muß gestehen, daß ich mich nicht an Sie erinnere. Ich war lange fort.« Der Mann hatte lange Strähnen von der Sonne gebleichten Haares, die von Ohr zu Ohr über einem kahlen Schädel ausgebreitet waren, und er trug eine Sonnenbrille, die auf feingezeichneten nordischen Wangenknochen ruhte. »Ich bin gerade erst von unten heraufgezogen. Von Südafrika.« Er zog eine resignierte Grimasse, die Brays Verständnis voraussetzte. »Meine Frau und ich konnten’s nicht mehr aushalten. Also versuchen wir’s mal hier draußen. Ich weiß nicht; wir werden sehen. Ich hab gelesen, daß Sie zurückkommen, da war ein Artikel in der Zeitung, meine Frau hat ihn mir in die Schweiz geschickt, deshalb kam ich drauf, daß Sie es sein müßten. Sie saßen genau vor mir, als wir in Rom abflogen.«
    »Ja, ich schätze, ich werd mich nicht mehr zurechtfinden, wenn ich in die Stadt komme.«
    »Oh, es ist immer noch nicht New York oder London, keine Angst.« Der Mann sprach mit einem Akzent und einer gewissen kontinentaleuropäischen Art der Resignation. Sie lachten.
    »Na, dann werden wir uns ja wahrscheinlich in der Great Lake Road über den Weg laufen.«
    »Nkrumah Road, wenn ich bitten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher