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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast
Autoren: Nadine Gordimer
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Hypothetisch. Bevor wir abfuhren. – Und genauso wußte ich, daß wir weggehen mußten.«
    »Armer Adamson, manchmal hat es ziemlich hoffnungslos ausgesehen. Und trotzdem ist es jetzt so schnell gegangen. Zehn Jahre!« Zehn Jahre, seit sie aus jenem Land abgeschoben worden waren, zehn Jahre, seit sie eine jugendlich wirkende Vierzigerin gewesen war und die Mädchen noch zur Schule gegangen waren. »Historisch betrachtet, ja – es mußte einfach dazu kommen – aber das galt doch nicht für Adamson, nicht für uns, oder?«
    Das Haus, das sie gekauft und mit Besitztümern gefüllt hatten, die sie während all der Jahre in Afrika gehortet hatten, der Garten, den sie angelegt hatten, sagten alles über sie aus. Es war kein Haus, aus dem man wieder auszog.
    »Sie erwarten dich zurück«, sagte sie stolz.
    »Naja, Adamson war ganz siegestrunken. Ich glaube, er hätte sogar Henry Davis umarmt.« Davis war Siedler und jener Parlamentsabgeordnete, der in einem bestimmten Stadium für die Verbannung Mwetas in die westlichste Provinz verantwortlich gewesen war.
    »Er glaubt natürlich fest an deine Rückkehr aus dem Exil.«Sie lachten. Aber gesprochen wurde über Mweta; die seltsame Scheu nach zweiundzwanzig Jahren Ehe machte es ihr unmöglich, einfach zu sagen:
Möchtest
du weg? Der leidenschaftliche Anfang, die lange gegenseitige Offenheit und das Verständnis für den anderen hätten eigentlich bedeuten sollen, daß sie wußte, was er wollte. Und in gewisser Weise wußte sie es tatsächlich: Denn zwischen ihnen gab es ein geheimes Übereinkommen, das von beiden innerlich so tief akzeptiert worden war, daß sie nie darüber gesprochen hatten – man stand zur Verfügung, wo immer man gebraucht wurde. Wonach sollte man sich sonst im Leben richten? Und so galt ihre Frage, wovon sie nun tatsächlich redeten, dem in ihr verborgenen, unterdrückten und verschleierten Wunsch zu erfahren, ob nun dieses Haus, dieses Leben in Wiltshire, dieses Leben für ihn – endlich – das gültige, das endgültige war. Denn plötzlich begriff sie, daß es für sie so war. Sie war schließlich (im wahrsten Sinne des Wortes schließlich – nach all dem, was hinter ihr lag) eine Engländerin. Sie hatte die Möbel und Familienerbstücke, die ihr bei ihrem gemeinsamen Abschied von England vor zwanzig Jahren bloß ein lästiges Ärgernis gewesen waren, aus dem Lager geholt und hatte, indem sie sie entsprechend aufstellte, unweigerlich jenen Lebensstil akzeptiert, den ein Arrangement solcher Objekte mit sich brachte und den ihre ansehnlichen privaten Einkünfte ermöglichten. In dem Raum, den sie als sein Arbeitszimmer ausgesucht hatten, stand der Schreibtisch, der von ihrem Urgroßvater stammte und nun wie selbstverständlich zu dem seinen geworden war – ein still daliegendes Feld aus dunkelrotem, fast schwarzem Saffianleder mit verlöschender Goldgravur – der richtige Platz, um die gewissenhaft dokumentierte Geschichte des Territoriums (Mwetas Landes) zu schreiben, was noch keiner zuvor getan hatte; kein Buchsbaumschreibtisch aus dem Büro der Kolonialverwaltung, auf dem man sich mit Formularen der Regierungsstellen herumschlug und seine Erfahrungen mit Verwaltung und Politik hinkritzelte – heute niedergeschrieben und morgen zusammengeknüllt.
    Im duftenden, von Nachtfaltern erfüllten Abend spürte sie die Anwesenheit des Hauses wie jemanden, der hinter ihr stand. Sie wußte nicht, ob auch er es spürte; und sie konnte auch nicht versuchen es herauszufinden, denn wenn sich herausstellte, daß es nicht so war – sie hatte dann und wann eine dunkle Vorahnung, daß man zur Lebensmitte plötzlich feststellt, daß man in einem einzigen Augenblick alles verloren hat: den Mann und Liebhaber, den Freund, die Kinder, so als hätte es sie nie gegeben oder als wäre man von ihnen weggegangen, ohne es zu wissen, und stünde nun wie gelähmt angesichts dieser Entdeckung da.
    Sie beobachteten die Nachtfalter in den Tabakpflanzen. Mit ihrer klugen, forschenden Engländerinnenstimme, hinter der Generationen ihrer Art Zuflucht gefunden hatten, sagte sie: »Hat Mweta gesagt, für wie lange?«
    »Das war doch vor allem eine Geste! Er war ja total euphorisch!«
    »Nein, er hat es doch schon gestern erwähnt, oder? Du hast ihn gestern falsch verstanden. Ein Jahr? Sechs Monate? – Wie lange?«
    Weiße, die in afrikanischen Staaten nach deren Unabhängigkeit angestellt wurden, bekamen normalerweise einen zeitlich begrenzten Vertrag. »Gütiger Himmel, ich hab
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