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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm
Autoren: Philip K. Dick
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irgendwie verwundert. Er legte seine Hand auf Rattenarschs Kopf und versetzte ihm einen kurzen, scharfen Schlag. »Du blöder Kerl! Wenn ein Wagenheber wegrutscht, dann nimm gefälligst die Beine in die Hand. Vergiss den Wagen. Stell dich bloß nicht hinter ihn und versuch ja nicht, dich einer solchen Masse entgegenzustemmen, sie mit deinem Körper aufzuhalten.«
    »Aber Jerry, ich hatte Angst, die Achse…«
    »Scheiß was auf die Achse. Scheiß was auf den Wagen. Dein Leben ist wichtiger.« Sie gingen durch das dunkle Wohnzimmer, sie alle drei – und die Vision eines längst vergangenen Augenblicks verschwamm und erlosch dann für immer.
     

 
Zwei
     
    »Meine sehr verehrten Herren vom Anaheim Lions Club«, sagte der Mann am Mikrophon, »es erfüllt mich mit außerordentlicher Freude, dass wir dank der freundlichen Genehmigung der Behörden des Orange County heute Nachmittag einen Undercover-Rauschgiftermittler in unserer Mitte begrüßen dürfen. Nach einem einleitenden Referat unseres Gastes werden wir die einmalige Gelegenheit haben, ihn zu seiner Person und seiner Arbeit zu befragen.« Oh, wie er strahlte, dieser Mann mit dem rosa Waffelfiber-Anzug, der gelben Plastikkrawatte, dem blauen Hemd und den Schuhen aus Lederimitat! Ein so übergewichtiger wie überalterter Mann, der pausenlos lachte, als sei er überglücklich, auch wenn es wenig oder gar nichts gab, weswegen man glücklich sein konnte.
    Der Undercover-Ermittler beobachtete ihn angeekelt.
    »Nun, wie Sie bereits bemerkt haben werden«, fuhr der Versammlungsleiter fort, »können Sie den Mann, der hier zu meiner Rechten sitzt, eigentlich gar nicht richtig sehen, geschweige denn erkennen. Und das liegt an einer besonderen Vorrichtung, die er trägt – dem so genannten Jedermann-Anzug. Diesen Anzug trägt unser verehrter Gast während seines unermüdlichen Einsatzes für Recht und Ordnung fast ständig. Den Grund dafür werden Sie in wenigen Minuten erfahren.«
    Das Publikum, das in jeder nur denkbaren Hinsicht ein Spiegelbild des Versammlungsleiters war, betrachtete interessiert den Mann in seinem Jedermann-Anzug.
    »Dieser Mann«, verkündete der Versammlungsleiter nun, »den wir einfach nur Fred nennen wollen, weil er unter diesem Decknamen die Informationen, die er sammelt, an seine Vorgesetzten weitergibt, dieser Mann also kann, sobald er einen Jedermann-Anzug anhat, weder durch den Klang seiner Stimme noch durch einen auf technischem Wege erstellten Stimmabdruck, noch durch sein Aussehen identifiziert werden. Würden Sie nicht auch sagen, dass er nur wie ein vager Fleck aussieht? Nicht wahr?« Bei diesen Worten verzog er sein Gesicht zu einem breiten Lächeln. Das Publikum nickte und lächelte konziliant zurück. Ja, das war wirklich lustig.
    Der Jedermann-Anzug stammte aus den Forschungslaboratorien des Beil-Konzerns, eigentlich eine Zufallsentdeckung, die einem Angestellten namens S.A. Powers wie durch Zauberei gelungen war. Vor einigen Jahren hatte Powers mit enthemmenden Substanzen experimentiert, die direkt auf das Nervengewebe einwirkten, und eines Abends hatte er sich selbst eine als ungefährlich und nur schwach euphorisierend geltende IV-Injektion verabreicht – was wider Erwarten zu einem katastrophalen Abfall der GABA-Flüssigkeit in seinem Gehirn geführt hatte. Subjektiv hatte Powers die Folgen der Injektion so erlebt, als würden pausenlos geisterartig phosphoreszierende Phänomene an die gegenüberliegende Wand seines Schlafzimmers projiziert – eine mit irrwitziger Geschwindigkeit ablaufende Montage von Bildern, die damals in Powers den Eindruck zeitgenössischer abstrakter Gemälde erweckten.
    Sechs Stunden lang hatte er überwältigt beobachtet, wie vor seinen Augen tausende von Picassos vorbeirauschten, und im Anschluss daran war er mehr Bildern von Paul Klee ausgesetzt, als dieser Künstler während seines ganzen Lebens überhaupt geschaffen hatte. S. A. Powers, über den sich nun eine wahre Sturzflut von Modigliani-Gemälden ergoss, stellte die Hypothese auf (schließlich braucht man für alles eine Hypothese), dass die Rosenkreuzler diese Bilder auf telepathischem Weg auf ihn abstrahlten, wobei die telepathischen Impulse möglicherweise noch durch hochkomplexe Mikrorelais-Systeme verstärkt wurden. Doch als ihn dann Kandinsky-Bilder zu martern begannen, erinnerte er sich daran, dass sich das größte Kunstmuseum in Leningrad gerade auf solche nichtgegenständlichen Maler der Moderne spezialisiert hatte. Und daraus
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